MATHIAS RÄTSCH ÜBER EINEN OFFENEN BRIEF DER »FINDORFFER GESCHÄFTSLEUTE E.V.«


Empfänger unbekannt. Absender auch.

Parkplatzvernichtung durch Bewohnerparken in Findorff? Das befürchten scheinbar ca. 70 im Verein organisierte Findorffer Geschäftsleute in einem offenen Brief an die Politik. Kann man machen, wenn man sich wünscht, »dass alle Aspekte mit einbezogen werden« und meint, dass »die Bedürfnisse der Geschäftsleute und ihrer Mitarbeiter nirgends betrachtet wurden.« Es stellen sich dennoch einige Fragen: Wer ist DIE Politik? Geht es auch konkreter? An wen richtet sich dieser Brief? Und: Wer hat ihn federführend geschrieben? Allein der Vorstand – oder wurden im Vorfeld alle Mitglieder des Vereins befragt? Wenn nicht: Warum werden die BefürworterInnen des »Statements« in guter demokratischer Verfahrensweise nicht namentlich aufgeführt? Drei weitere Anmerkungen:

 


Wer sitzt für die SPD als Mitglied im Beirat und hat für den Betriebsplan zur Einführung von Bewohnerparken im Quartier Bürgerweide gestimmt?

 

Der Beirat Findorff hat nach Jahren der Diskussion Ende November 2020 einstimmig beschlossen, dass das Amt für Straßen und Verkehr als zuständige Behörde einen Betriebsplan für die Einführung von Bewohnerparken im Quartier Bürgerweide erstellen soll. Einstimmig heißt: alle Parteien im Beirat haben dafür gestimmt. Wer sitzt für die SPD als Mitglied im Beirat und hat ebenfalls für den Betriebsplan zur Einführung von Bewohnerparken im Quartier Bürgerweide gestimmt? Die 1. Vorsitzende der Findorffer Geschäftsleute e.V. , in dieser Doppelfunktion maßgeblich verantwortlich für den offenen Brief an »die Politik«, den sie als Teil des Vorstands quasi in ihrer Doppelrolle als Mitglied im Beirat Findorff auch an sich selbst geschrieben hat. Originell!

 

Die Wege können kurz und die Welt unergründlich sein. Auch echte oder scheinbare Unwissenheit über den weiteren Prozess ist nicht selten: Die von der zuständigen Senatorin fest zugesagte Bürgerbeteiligung hat noch gar nicht begonnen. Auch das »die Bedürfnisse der Geschäftsleute und ihrer Mitarbeiter nirgends betrachtet wurden.« mag bisher so sein, allerdings sollte man wissen: Der Beirat Findorff macht keine Hausbesuche. Es gab und gibt sogar in Coronazeiten regelmäßig öffentliche Beiratssitzungen, auf denen sich nicht nur alle BürgerInnen, sondern auch Interessengemeinschafen wie die organisierten Findorffer Geschäftsleute völlig undramatisch mit ihren Sorgen und Befürchtungen einbringen können und sollten. Nicht gewusst?

 


Ist das Parken auf dem Gehweg unabhängig von der geplanten Einführung des Bewohnerparkens erlaubt?

 

Zitat aus dem offenen Brief: »Wie sich aus dem Protokoll der Bauausschusssitzung vom 10.11.2020 ergibt, soll die derzeitige Beschilderung für das aufgesetzte Parken überdacht und neu strukturiert werden. Der Spielraum der Verwaltung für den verbleibenden Gehwegraum soll sich zwischen 1,0 und 1,5 m oder sogar 2,20 m bewegen. Eine solche Breite weisen viele Bürgersteige in den Findorffer Wohnstraßen nicht auf.« Tja, wer hätte das gedacht: Ob 1,0 und 1,5 m oder sogar 2,20 m: Ist das Parken auf dem Gehweg unabhängig von einer möglichen Einführung des Bewohnerparkens erlaubt? Gibt es Spielraum für die Verwaltung? Laut Straßenverkehrsordnung (und dem unverdächtigen und zugleich kompetenten ADAC) ist das Parken auf Gehwegen auch unabhängig von der geplanten Einführung Bewohnerparken wie folgt geregelt: »Das Halten und Parken auf Gehwegen ist grundsätzlich verboten, soweit es nicht durch Verkehrszeichen oder durch Parkflächenmarkierungen ausdrücklich erlaubt ist. Dies gilt auch auf sehr breiten Gehwegen. Ebenso ist das Abstellen eines Kraftfahrzeugs mit nur zwei Rädern auf dem Gehweg, unabhängig davon, wieviel Platz den Fußgängern verbleibt, grundsätzlich verboten. Parkt man trotzdem unzulässig auf Geh- und Radwegen, werden Bußgelder fällig.« Nicht in der StVO nachgeschlagen?

 


Die massenhaften Proteste der AnwohnerInnen im Hulsbergviertel gibt es so gar nicht.

 

Ein weiteres Zitat aus dem offenen Brief: »Das neu initiierte Bewohnerparken im Hulsbergviertel zeigt bereits wenige Wochen nach Beginn immense Schwächen, was bereits zu massiven Protesten der Anwohner geführt hat (s. Artikel im Stadtteilkurier des Weser-Kuriers vom 21.01.2021).« Wenn man sich schon auf einen Artikel im Weser Kurier beruft, der angeblich über massenhafte Proteste der Anwohner berichtet, sollte man diesen Artikel auch verlinken. Wer den Artikel zur Meinungsbildung liest, dem wird schnell klar: Die massenhaften Proteste der AnwohnerInnen im Hulsbergviertel gibt es so gar nicht. Was ist passiert? Eine Anwohnerin hat nach Abschluss der Einführung amateurhaft eine tendenziöse Umfrage gestartet und in »In fünf Tagen von fast 80 Nachbarn Feedback bekommen.« Wieviele Einwohner wohnen in dem Gebiet? Bitte die Kirche im Dorff lassen und diesmal selbst googeln, um anhand Anzahl der Einwohnerinnen in diesem Gebiet die Relation dieses »massenhaften« Miniprotestes ins richtige Licht zu rücken. Nicht richtig gelesen?

 


Also, aufgeregter Vorstand der organisierten Findorffer Geschäftsleute: einfach mal wieder runter kommen.

 

Wie antwortete Thomas Adrian, Hamburger Fachbereichsleiter des Verkehrsmanagements im Hamburger Landesbetrieb Verkehr, im Interview in der Winterausgabe 2020 von FINDORFF GLEICH NEBENAN auf folgende Frage »Ein besonderer Fokus ist auch auf die Situation der Gewerbetreibenden gerichtet. Wie sehen Ihre Erfahrungswerte aus?« Antwort: »Wird das Bewohnerparken neu eingeführt, gibt es beim Einzelhandel durchaus Bedenken. Zuletzt hatten wir diese Diskussion in Blankenese, wo zwar kein Bewohnerparken, aber eine Parkraumbewirtschaftung eingeführt wurde. Die Sorge, dass KundInnen dem Einzelhandel aufgrund der Parkkosten fernbleiben, hat sich jedoch nicht bestätigt. Im Gegenteil haben die KundInnen jetzt bessere Aussichten schnell und zuverlässig einen Parkplatz zu finden.«

 

Also, aufgeregter Vorstand der organisierten Findorffer Geschäftsleute e.V., die nicht einmal 25 % aller Geschäftsleute im Stadtteil repräsentieren: einfach mal entspannt bleiben, wieder runter kommen und mit dem Beirat und Eurer 1. Vorsitzenden auf kurzen Wegen den Dialog suchen. Dafür ist nach ungezählten Beiratssitzungen zum Thema »Bewohnerparken« in den letzten Jahren, in denen sich der Verein mehrfach hätte einbringen können, sicherlich nach wie vor Gelegenheit; zumal der eigentliche Prozess der Bürgerbeteiligung noch gar nicht begonnen hat. Das wäre und ist weiterhin sehr viel  konstruktiver, als ohne jeden Dialog im Vorfeld einen befremdlichen Brief zu verfassen, der sich weder an einen konkreten Adressaten richtet, noch die Namen der AbsenderInnen klar benennt. 

 

Zum Schluss noch ein Detail am Rande: Wenn der offene Brief ohne vorherige Abstimmung mit allen Mitgliedern verfasst und veröffentlicht sein sollte, haben einige Mitglieder aus dem Vorstand den gesamten Verein für sich instrumentalisiert. Aber diese eigentlich unglaubliche Vorgehensweise muss man nicht öffentlich machen. Man kann sie ja auch erst einmal vereinsintern diskutieren – und gegebenenfalls persönliche Konsequenzen ziehen.

 

Mathias Rätsch ist Herausgeber von FINDORFF GLEICH NEBENAN, der Stadtteilzeitschrift für Handel, Dienstleistung, Kultur und Politik. Der Diplom-Designer, Texter und Kommunikationswirt ist Initiator des Stadtteilportals www.findorff-gleich-nebenan.de. Er hat kein Auto und seine Position zum Bewohnerparken ist noch nicht eindeutig, aber Mathias Rätsch ist ein größer Anhänger von Transparenz und Bürgerbeteiligung – und von der Einhaltung von Regeln: in diesem Fall die der Straßenverkehrsordnung. Das sich in Findorff viele AutofahrerInnen nicht an die Verkehrsregeln halten und Fußwege und Kreuzungen dreist zugeparkt werden, kennt er als Fußgänger nur zu gut. Weil sich dieser Zustand seit Jahren nicht ändert und ordnungspolitisch offensichtlich geduldet wird, sieht er Bewohnerparken als eine mögliche Konsequenz, ganz wie der Hamburger Verkehrsexperte Thomas Adrian, der sagt: »Nichts zu unternehmen, ist keine Option.«


 

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