PROF. DR. DIETMAR ZACHARIAS ÜBER URBANE Qualitäten durch BÄUME


Bäume in der Stadt müssen sehr kämpfen.

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Prof. Dr. Dietmar Zacharias unterrichtet seit 2002 »Angewandte und ökologische Botanik« an der Hochschule Bremen, Fakultät Natur und Technik, Studentinnen und Studenten im internationalen Studiengang »Technische und Angewandte Biologie«. Er ist unter anderem Mitglied im »Naturschutzbeirat Bremen«, im »BUND Bremen« und Gründungsmitglied des »Bündnis lebenswerte Stadt – grünes bremen«. Kontakt und mehr Infos unter www.gruenes-bremen.de 

 


In Findorff wurden in den letzten Jahren viele Bäume gefällt. 2016 waren es fast 100 Bäume an der Bahnstrecke in der Kastanienstraße. Beirat und »BUND« sahen die Fällungen kritisch. Es gab Bürgerproteste. Die »Deutsche Bahn« argumentierte, die Fällungen seien »aus Sicherheitsgründen« notwendig. Je nach Blickwinkel: Gibt es »gute« und »böse« Bäume ?

 

Ihr Beispiel macht deutlich, worum es bei Bäumen in der Stadt geht. Es geht um die Menschen, die Bäume beurteilen und entsprechend reagieren. Allgemein wird sehr positiv gesehen, dass man Bäume in der Stadt und vor der eigenen Haustür hat – weil man als Kind vielleicht darauf geklettert ist, sie Schatten spenden, Früchte tragen oder etwas kaschieren – wie ein weniger schönes Nachbargrundstück.

 

In der Kastanienstraße ist es eine Lärmschutzwand ...

 

Manchmal kommt aber auch das Gegenteil vor; zum Beispiel, dass ein Baum den Blick auf etwas Schönes versperrt oder den freien Blick in die Sonne. Verschattet der Baum des Nachbarn das eigene Grundstück, kann die Sichtweise schnell wechseln. Wir müssen akzeptieren, dass alle für sich zu einem Baum im eigenen Umfeld eine Meinung haben – und ob der Baum dort stehen bleibt, ist im Prinzip eine Frage der Abwägung. 

 

Das Argument mit der »Abwägung« zwischen Verkehrssicherungspflicht und Stadtklima oder Hochwasserschutz ist oft ein Argument für Fällungen. Wie kann die Bedeutung von Bäumen gegenüber anderen Interessen gestärkt werden ?

 

Ich glaube, das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Bäumen und Grün in der Stadt ist da. Es geht in erster Linie um formale Prozesse der Umsetzung. Eine Möglichkeit dafür ist der private Bereich. Es wäre sehr schön, wenn BürgerInnen auf ihren eigenen Grundstücken einfach mehr Bäume pflanzen würden – mit allen Notwendigkeiten, die dazu gehören, wie Baumschnitt und Laubharken. Im öffentlichen Bereich ist es wichtig, dass wir Bäumen genug Raum geben: nach oben, zur Seite und nach unten. 

 

Verfügbarer Raum in der Stadt ist heute knapp und teuer... 

 

Die Abwägung für oder gegen Bäume ist immer eine Grundsatzentscheidung. Wenn man mehr Bäume haben möchte, muss man ihnen dreidimensionalen Raum lassen. Wenn man Stadtbäume an den zentralen, besten und teuren Lagen haben möchte, bedeutet das entsprechende Quadratmeter Fläche und Kubikmeter im Boden vorzuhalten. Man kann nicht sagen: »Ich möchte mehr Bäume, aber mehr Platz kann ich nicht geben.«

 

Ist diese Entscheidung auch eine politische Entscheidung – zum Beispiel, indem Politik klar sagt: »Wir wollen › Grüne Stadt ‹ werden und schaffen für dieses Ziel auch gesetzliche und fiskalische Anreize für mehr gewerbliches und privates Grün« ?

 

Das alles geht gar nicht ohne eine klare politische Entscheidung. Auch die Frage der Verdichtung durch neue Bebauung ist immer eine strategisch-politische Entscheidung. Auch dabei muss man abwägen. Ich glaube, es wird zu wenig gesehen, wie wichtig es ist, für Städte urbane Qualitäten durch grüne Räume vorzuhalten und zu entwickeln – auch vor dem Hintergrund, dass man ja mehr Menschen und qualifizierte Arbeitskräfte in der Stadt haben möchte. Wenn stadtgrüne Qualitäten immer weniger da sind, wird es schwierig, Menschen in der Stadt zu halten oder neu zu gewinnen. Die Qualität von urbanen Grün- und Freiflächen entsteht nicht durch Fingerschnippen. Sie braucht Kontinuität, Zeit und sollte langfristig angelegt und entwickelt werden. Man muss dafür heute Entscheidungen treffen, deren Erfolge erst sichtbar werden, wenn die Verantwortlichen schon längst nicht mehr PolitikerInnen sind. Nochmal: Die Entscheidung für eine »Grüne Stadt« mit vielen Bäumen ist eine politische Grundsatzentscheidung, die nicht infrage stehen sollte. Es gibt aber immer auch andere Themen, die auf der Agenda stehen. Gegenüber von meinem Büro wurden Bäume entfernt, weil die Kita dort mehr Gruppenräume für mehr Kindergartenplätze braucht. Der Kitaplatz oder neuer Wohnraum sind momentan für viele Menschen elementar – und die sagen »Die Bäume können ja auch woanders stehen.« Politik priorisiert akuten Bedarf. Politik sollte aber so aufgestellt sein, dass sie dem zwar folgt, aber nicht nur kurzatmig reagiert, weil mehr Grünqualität in der Stadt von den Menschen ja zugleich auch gewollt ist. Um beiden Erwartungen gerecht zu werden, muss man sich streiten und auch mal rangeln. 

 

Wie wichtig sind Bäume für das Klima in der Stadt ?

 

Mehrere Faktoren sind wichtig: Wir brauchen Flächen, auf denen Wasser versickern kann. Sie kennen bei Starkregen voll gelaufene Keller. Wasser im Keller finden wir gar nicht gut. 

 

Vielen FindorfferInnen sind die Starkregenereignisse von 2011 gut in Erinnerung. Unser Stadtteil war besonders betroffen... 

 

Bäume wurzeln in Versickerungsflächen. Wo Wasser versickert, verdunstet auch etwas. Das Wasser wird gehalten, bleibt im Kreislauf und kühlt. Jede Pflanze verstärkt diesen Effekt – und Bäume mit ihren großen Oberflächen durch die vielen Blätter sowieso. Bäume federn dadurch extreme Temperaturverläufe ab. Wir wissen: Unsere Städte werden in Zukunft immer enger. Gleichzeitig werden die Sommer immer heißer. Es wäre daher weder eine kluge Idee noch besonders intelligent, in dieser Situation den Grünanteil in der Stadt zu reduzieren. Warum ? Bäume können auf kleiner Fläche an Gebäuden stehen und viel Grün und Blattfläche vorhalten. Stadtbäume müssen auf wenig Fläche sehr kämpfen, werden auch nicht sehr alt, aber sie machen für uns und unser Klima einen ziemlich guten Job.

 

Was leisten Bürgerpark und Stadtwald für Findorff ?

 

Man hat es gemessen: In heißen Sommern sind die Temperaturen im Umfeld von Bürgerpark und Stadtwald viel geringer. Das heißt, die Bäume und anderen Pflanzen dort haben für uns einen kühlenden Effekt. Der zweite Vorteil ist, dass Park und Wald über den Unisee in Richtung Blockland geöffnet sind, wodurch es einen Zustrom von kühler Frischluft gibt. Das sollte man auf keinen Fall durch Bebauung kappen. 

 


1.000 Jahre zeigen, wie alt Bäume werden können.

 

Alte Bäume, mit denen man vielleicht im Stadtteil zusammen ein Stück »aufgewachsen« ist, emotionalisieren besonders stark. Warum ist der Erhalt von alten Bäumen wichtig ?

 

Es gibt zwei Aspekte: Je älter ein Baum wird, umso mehr bietet er potentiell Wohnraum für ihn besiedelnde Planzen, Tiere und Pilze. Auf den alten Bäumen wachsen die Moose und Flechten – und auch der Specht braucht für seine Aktivitäten einen Stamm mit einer gewissen Dicke. Die höchste biologische Vielfalt versteckt sich aber im krabbeligen Kleinen: Dazu zählen Käfer oder Weberknechte, die im Holz stecken, wenn es angewittert ist. Je älter ein Baum wird, desto mehr hat er solche Elemente. Oben in der besonnten Krone leben Arten, wie sie teilweise auch in Urwäldern vorkommen. Diese biologische Vielfalt hat eine ganz besondere Qualität, die jüngere Bäume niemals ersetzen können. Der zweite Aspekt hat mit dem menschlichen Verhalten zu tun. Alte Bäume sind vor Ort wie vertraute »Landmarken«, die uns sehr oft ein Leben lang begleiten. Unsere Bindung zu diesen Bäumen, die man vielleicht seit seiner Kindheit kennt, geht während unserer Lebenszeit nicht verloren – und je älter Bäume werden, desto eher entwickeln sie eine ganz eigene Ästhetik.

 

Geben alte Bäume uns auch eine Vorstellung von Zeit ? 

 

Ja, da haben Sie recht. Ich gehe mit meinen StudentInnen sehr gern zu einer Linde, von der man weiß, dass sie fast 1.000 Jahre alt ist. Man steht vor dem uralten Baum, ist tief beeindruckt von seinem Alter und hat eine große Achtung davor. So geht es vielen Menschen. 1.000 Jahre zeigen, wie alt Bäume werden können. Straßenbäume in der Stadt hingegen haben kaum noch eine Chance älter als 100 Jahre zu werden. Wir sollten Bäumen aber auch, dort wo es geht, die Möglichkeit geben, sehr alt zu werden. Dazu brauchen sie größere Freiflächen, wie es sie bei uns zum Beispiel im Bürgerpark gibt. Die ältesten Bäume aus dessen Gründerzeit sind etwa 150 Jahre alt und es wäre sehr zu wünschen, dass auch in hundert Jahren noch viele davon stehen und irgendwann auch ein 1.000-jähriger Baum im Bremer Bürgerpark zu bewundern ist. Es ist unsere Verpflichtung, unse–ren Nachfahren alte Bäume zu übergeben, für die sie dann die Verantwortung übernehmen können und müssen. Alte Bäume sind gelebte Tradition, regionale Identität und Ausdruck eines sorgsamen Umgangs mit dem, was man zu treuen Händen selber einmal übernommen hat. Und das ist bremisch.

 

Welches sind die größten Gefahren für Bäume in der Stadt ?

 

Die größte Gefahr für Bäume ist der Mensch. Letztendlich ist er es, der die meisten davon absägt. Und: Je älter Bäume werden, desto mehr Wasser, Nährstoffe und Raum zum Überleben  brauchen sie – und zwar kontinuierlich. Wenn im Alter noch gewisse Krankheiten oder Schädlinge hinzukommen, müssen sie das alles erstmal überstehen. Der außergewöhnlich heiße Sommer 2018 hat es gezeigt: Wird das Wasser knapp, überstehen das viele Bäume nicht. Bei Starkregen kann aber auch zu viel Wasser die Gefahr sein, wenn die Wassermengen im Boden nicht mehr ablaufen können. Weltweit »importierte« Schädlinge sind ein weiteres Problem. Neue Schädlinge haben Ulmen, Eschen und die Rostkastanie elementar reduziert. Auch Eichen sind gefährdet. Dagegen kann man nur bedingt etwas unternehmen. Ich finde es richtig, dass man im Bürgerpark, wie es die Gründer festgelegt hatten, vorrangig einheimische Bäume pflegt und pflanzt, obwohl sie auch dort von Schädlingen bedroht sind.

 

Ganz früher hieß es: »Ein Mann sollte in seinem Leben einen Baum pflanzen, ein Haus bauen und einen Sohn zeugen.« Häuser bauen in verdichteten Stadtteilen ist kaum mehr möglich, aber Bäume pflanzen – kann das jedeR einfach machen ?

 

Ja, das kann man auf dem eigenen Grundstück machen oder auch einen Baum spenden. Es gilt rechtliche Regeln zu beachten. Baumart und Fläche sollten zusammenpassen. In Bremen haben wir teilweise trockenen, sandigen Boden, oft aber auch wechselnasse tonig-moorige Flächen. Man sollte sich im Vorfeld beraten lassen, welche Baumart wo passt. Ich glaube: Bäume mit persönlichem Bezug haben eine bessere zeitliche Perspektive. Man sägt den vom Vater gepflanzten Baum nicht einfach so ab.

 

Wie können direkte AnwohnerInnen die Lebensbedingungen für vorhandene Straßenbäume verbessern ?

 

Das eine ist Lobbyarbeit für mehr Grün an der Straße. Das andere ist, dass Bäume oft zugeparkt oder als Müllfläche genutzt werden. Dagegen muss man sofort konsequent einschreiten.

 

Sie kennen viele Bäume in Bremen und umzu. Welches ist ihr Lieblingsbaum und wo kann man den bewundern ? 

 

Einen einzelnen Lieblingsbaum habe ich nicht, kann mich aber für viele Baumindividuen begeistern, wie die wunderschönen Flatterulmen, von denen es alte Exemplare im Bürgerpark an der Seite des Torfhafens gibt. Die eher unscheinbare Flatterulme, die übrigens der »Baum des Jahres« 2019 in Deutschland ist, trotzt mit ihren Brettwurzen auch im nassen, weichen Boden Sturm und Überschwemmungen. In der Flatterulme steckt drin: Ich kämpfe und mache immer weiter. Das finde ich gut. 

 

Interview: Mathias Rätsch, Foto: Kerstin Rolfes

 

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© Kerstin Rolfes