FAKTEN STATT LEGENDEN: ANWALT DR. OLAF DILLING KLÄRT Über Bewohnerparken AUF


Sechs Legenden über Bewohnerparken

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HändlerInnen warnen angesichts der geplanten Einführung von Bewohnerparken in Findorff vor Parkchaos: »Protest gegen das geplante Bewohnerparken in Findorff / Angst um Kunden« war in einem Artikel im »Weser Report« zu lesen. Zitat: »Das Parkchaos wäre programmiert. Eine Verödung des Stadtteils könnte folgen«, warnt der Verein Findorffer Geschäftsleute e.V., dem ca. 20 Prozent der Unternehmen im Stadtteil angehören. Fakten statt Vermutungen sind gefragt – und das Wissen des Experten: Wir haben Rechtsanwalt Dr. Olaf Dilling gebeten, über die sechs beliebtesten Legenden zum »Bewohnerparken« aufzuklären. Bitte sachlich einsteigen – und los geht es !

 

 

Starten wir gleich direkt mit der beliebtesten Legende im Protest gegen das Bewohnerparken: Tatsächlich werden in Findorff genauso wenig Parkplätze wegfallen, wie in den anderen Quartieren, in denen das Bewohnerparken bereits eingeführt wurde. Denn schon aktuell gibt es in Bremer Wohnquartieren fast doppelt so viele Kraftfahrzeuge wie vorhandene legale Parkplätze. Dies ist bisher vielen AutofahrerInnen nur nicht aufgefallen. 

 

Warum ? Bisher wurden von der Bremer Verwaltung die Regeln für das Halten und Parken, wie sie in der Straßenverkehrsordnung vorgesehen sind, nicht durchgesetzt. Deshalb sind in vielen Straßen zahlreiche illegale »Parkmöglichkeiten« entstanden. Dass dagegen nicht vorgegangen wird beruht zum Teil auf mangelnder Ausstattung mit Personal, zum Teil auf politisch motiviertem Opportunismus. Legal ist es ganz bestimmt nicht. 

 

Darüber hinaus verstößt das Falschparken auf Rad- und Gehwegen auch gegen die Rechte anderer VerkehrsteilnehmerInnen, die genauso wie AutofahrerInnen Bedarf an gleichberechtigter Teilhabe am öffentlichen Raum haben. Und das sind gar nicht so wenige: Inzwischen verzichten in den innenstadtnahen Vierteln in Bremen knapp die Hälfte der Haushalte auf das eigene Kraftfahrzeug. Allerdings steigt auch die Zahl der Haushalte mit mehr als einem Auto. Auf den Punkt gebracht: Der ohnehin knappe Platz wird seit Jahren immer ungerechter verteilt.

 

 

Auch wenn ganze Straßenzüge betroffen sind: Das halb aufgesetzte Parken auf Gehwegen ist auf den engen Bremer Gehwegen illegal und führt zu erheblicher Behinderung des Fußverkehrs. Insofern unterscheidet es sich nicht viel von anderen, oft auch massenhaft begangenen Verkehrsverstößen, wie bei »rot« über eine Ampel zu laufen. Im Unterschied zu regelwidrig laufenden FußgängerInnen, die ganz schnell wieder von der Fahrbahn sind, steht das falsch geparkte Auto oft über Wochen oder sogar Monate falsch da, ohne dass der Halter des Fahrzeuges für die dadurch behinderten FußgängerInnen ansprechbar wäre. 

 

Tatsächlich sieht die Straßenverkehrsordnung vor, dass am rechten Rand der Fahrbahn geparkt wird. Nur wenn es ausdrücklich durch ein Verkehrsschild oder durch Markierungen ausgewiesen ist, ist das aufgesetzte Parken auf Gehwegen erlaubt. Das setzt aber erst einmal voraus, dass überhaupt genug Platz vorhanden ist. In Bremer Wohnvierteln ist dies bei typischen Straßenbreiten von zehn Metern fast nirgendwo der Fall. Selbst dort, wo das Gehwegparken in Bremen angeordnet wurde, entspricht es so gut wie nie den rechtlichen Vorgaben: Die aktuellen Vorschriften sehen eine Restbreite des Gehwegs von mindestens 1,80 m zuzüglich Sicherheitsabständen vor. Ansonsten kommen Menschen mit Kinderwagen oder in Rollstühlen nicht aneinander vorbei. Das heißt, dass zum Beispiel gehbehinderte Menschen auf die Fahrbahn ausweichen oder – unter Umständen mehrfach – die Straße queren müssen. Gerade für mobilitätseingeschränkte Personen oder Familien mit kleinen Kindern ist das ein »No-Go«. Schlimm ist es an Tagen, an denen die Müllabfuhr kommt. Dann passt auch ein einzelner Kinderwagen nicht mehr an den auf den Gehweg gestellten Tonnen vorbei.

Auf der Fahrbahn muss überall eine Durchfahrt von gut drei Metern frei bleiben. Sonst kommt die Feuerwehr nicht durch. Als in Bremen die Schilder in den 1970er Jahren aufgestellt wurden, waren die Autos noch wesentlich schmaler. So war der VW Golf 1978 noch knapp 1,60 m breit. Heute ist nicht nur dieses Modell noch 20 cm breiter. Mit Spiegeln ist er sogar mehr als zwei Meter breit, übrigens mehr als die Hälfte der heute zugelassenen Kraftfahrzeuge. Zulässig sind Breiten bis 2,55 m, ein Maß, das vor allem von Wohnmobilen auch ausgereizt wird. Diese Entwicklung zeigt: Für die heutigen Kraftfahrzeuge ist auf Gehwegen schlicht kein Platz mehr. 

 

 

Einen individuellen Anspruch auf einen Parkplatz in Wohnortnähe gibt es im deutschen Recht nicht. Es sei denn, der befindet sich im eigenen Keller, der zur Tiefgarage ausgebaut worden ist. Nur dann gibt es an dem Parkplatz Privateigentum. Alle anderen Parkplätze befinden sich im öffentlichen Verkehrsraum. Alle dort liegenden Parkplätze dienen dem Gemeingebrauch. JedeR kann sie beanspruchen – aber niemand individuell. Es hängt daher von der Zahl und Größe der im Quartier vorhandenen Autos ab, ob der Wunsch nach einem Parkplatz in Wohnortnähe erfüllt werden kann. Deshalb ließe sich das Versprechen, dass individuelle Parkplätze garantiert werden,auch beim besten Willen nicht einhalten. Es reicht, dass sich jemand für die Sommerferien ein Wohnmobil kauft, oder eine Familie, die bisher auf ein Auto verzichtet hatte, aus Frust über die illegal zugeparkten Gehwege sich doch wieder ein neues Fahrzeug anschafft. Und schon fehlt ein weiterer Parkplatz.

 

Eine andere Frage ist, ob insgesamt genug Parkplätze zur Verfügung stehen, um potentiell alle vorhandenen Kraftfahrzeuge im Quartier aufzunehmen. So wünschenswert das für AutofahrerInnen sein mag: Es geht im urbanen Umfeld immer zu Lasten anderer VerkehrsteilnehmerInnen. Und – auch wenn manche sich erfolgreich gegen die Einsicht wehren – öffentliche Straßen sind für alle da ! Unabhängig davon, ob jemand mit dem Auto, dem Fahrrad, zu Fuß oder mit Bus und Bahn unterwegs ist. Bereits jetzt stellen die Kommunen für den Kraftfahrzeugverkehr überproportional viel öffentlichen Verkehrsraum zur Verfügung; in Form von Flächen für den fließenden wie für den ruhenden Verkehr. Dabei werden inzwischen ein Großteil der Wege in der Stadt per Fahrrad, zu Fuß oder mit dem ÖPNV zurückgelegt. Rein theoretisch wäre es schon möglich, wohnortnahe Parkplätze zu schaffen, damit jeder Familie auch für Zweit- und Drittwagen, für Wohnmobile und Bullis legale Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dafür müssten von der Stadt Wohnhäuser angekauft und zugunsten von Parkplätzen abgerissen werden. Angesichts der Wohnungsnot ist das keine wirklich attraktive Option. Zudem wird angesichts der aktuellen Immobilienpreise deutlich, wie wertvoll die Flächen sind, die auch bisher schon für Parkplätze zur Verfügung stehen. Können Haushalte mit eigenen Autos erwarten, diese Flächen auch weiterhin umsonst zu bekommen ?

 

 

Bisher ist das Parken von Kraftfahrzeugen in deutschen Städten bei Weitem nicht kostendeckend. Das heißt, dass aus öffentlichen Haushalten kräftig dazu gebuttert wird. Die bislang gratis zur Verfügung gestellten Parkplätze werden von allen SteuerzahlerInnen gleichermaßen bezahlt. Egal ob sie selbst vorhandene Carsharing«-Angebote nutzen, mit dem Rad fahren oder öffentliche Verkehrsmittel benutzen. 

 

Dass manche ohne Gegenleistung einen großen Teil des Verkehrsraums in Beschlag nehmen dürfen und andere dafür bezahlen, ist ungerecht und außerdem sozial unausgewogen. Denn gerade sozial Schwache oder alte Menschen haben oft kein Auto. Die sind dann oft jedoch auch besonders von dem Parkdruck auf den Gehwegen betroffen. Bis vor kurzem waren die Gebühren für das Bewohnerparken gesetzlich bei 30 Euro im Jahr gedeckelt. Das hatte zur Folge, dass die Kommunen noch nicht einmal die Verwaltungskosten davon bezahlen konnten. Also beispielsweise die Kosten für die Ausstellung der Parkausweise und die Parkraumüberwachung. Hinzu kommt noch die Instandhaltung der Infrastruktur, denn die immer schwereren Autos beschädigen die Bordsteine und darunter liegende Leitungen. Entgegen der Vorstellung mancher AutofahrerInnen reicht die Kfz-Steuer bei weitem nicht, um diese Kosten zu decken. Aus Sicht der Kommunen ist es daher nachvollziehbar, dass für die Bewohnerausweise die Gebühren erhöht werden müssen. Es besteht in Bremen jedoch unter den politischen Parteien Konsens, dass DurchschnittsverdienerInnen, RentnerInnen oder HandwerkerInnen »sozialverträglich« belastet werden sollen. Aktuell im Gespräch sind zwischen 100 und 365 Euro im Jahr. Diese Summen liegen mit unter ein Euro am Tag deutlich unter dem Betrag, den NutzerInnen des ÖPNV täglich für ihre Tickets ausgeben. 

 

 

Die Vorstellung, dass es so etwas wie ein Gewohnheitsrecht auf Gehwegparken gibt, wird immer wieder geäußert. Aber sie wird durch die häufige Wiederholung nicht richtiger. So ist es auch mit dem Gehwegparken: Es wird dadurch, dass es seit Jahren in Bremen zu Unrecht praktiziert wird, nicht legal. Es gibt in Deutschland zwar Fälle von Gewohnheitsrecht. Voraussetzung ist dabei aber stets eine Praxis, bei der nicht gegen bereits gesetzlich oder per Verordnung geregelte Normen verstoßen wird. Dies ist aber nicht der Fall. Da die Regelungen über das Halten und Parken Bundesrecht sind, kann Bremen diese Regeln nicht per Gesetz oder Verordnung neu regeln. Zudem würde dies gegen völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands zur Barrierefreiheit und Teilhabe nach der UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen. 

 

Wo es einen gewissen Spielraum gibt, ist bei der Verfolgung des Falschparkens. Da es sich nicht um Straftaten, sondern nur um Ordnungswidrigkeiten handelt, kann die Verwaltung im Einzelfall von der Verfolgung absehen. Allerdings darf die Verwaltung Rechtsverstöße nicht systematisch dulden, so dass die Wertungen des Gesetz- und Verordnungsgebers leer laufen. Dies ist bisher in Bremen der Fall gewesen. Deswegen ist bereits ein Verfahren beim Verwaltungsgericht anhängig, in dem BewohnerInnen geklagt haben, weil sie wegen der FalschparkerInnen die Gehwege vor ihren Häusern nicht mehr benutzen können. Aller Voraussicht nach wird der Klage stattgegeben. Dann werden die Behörden die Rechte von FußgängerInnen auch ohne Einführung des Bewohnerparkens durchsetzen müssen. Mit der Folge, dass die BewohnerInnen mit ortsfremden AutofahrerInnen um die dann noch knapperen Parkplätze konkurrieren.

 

 

Ich gebe zu: Ich wohne in Peterswerder – und kaufe überwiegend in »meinem« Stadtteil, im Viertel und in der Innenstadt ein. Es ist in Bremen überwiegend so, dass man lokal vor Ort einkauft. Ich denke, dass es auch ohne Bewohnerparken keine gute Idee wäre, für den Einkauf mit dem Auto nach Findorff zu fahren. Ich würde mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln hinfahren. FindorfferInnen berichten, dass den Einzelhandel dort seine Erreichbarkeit zu Fuß oder mit dem Fahrrad attraktiv macht – und die leidet unter zugeparkten Gehwegen.

 

Dass der Einfluss der Erreichbarkeit mit dem Auto auf den Umsatz systematisch überschätzt wird, zeigen mehrere Studien, bei denen die Einführung von Fußgängerzonen oder verkehrsberuhigten Geschäftsbereichen ausgewertet wurde. Städte, die Parkraummanagement etabliert haben, haben laut Aussagen dieser Studien eine große Zufriedenheit bei Einzelhandel und AnwohnerInnen. Wichtig sind zwei Faktoren: Durch Parkraumbewirtschaftung können DauerparkerInnen verdrängt werden, so dass KurzzeitparkerInnen eher einen Parkplatz finden. Voraussetzung sind Parkplätze, die auch für Auswärtige durch Entrichtung von Parkgebühren benutzt werden können. Das Fazit: Aufenthaltsqualität macht Geschäftsviertel attraktiv und erhöht die Kundennachfrage.

 

Text: Dr. Olaf Dilling, Foto und Illustrationen: Shutterstock, Portraitfoto: www.dasguteportrait.de, erschienen in Ausgabe Nr. 18, 2021

 

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Dr. Olaf Dilling ist seit 2018 als Rechtsanwalt aktiv. Er blickt auf mehr als 15 Jahre wissenschaftliche und beratende Tätigkeit im Verwaltungsrecht, vor allem im Umweltrecht zurück. Seine Schwerpunkte liegen in verwaltungsrechtlichen, chemikalien‑, abfall- und naturschutzrechtlichen sowie immissionsschutzrechtlichen Fragen. Dr. Dilling hat an umfangreichen Gutachten für Ministerien und Bundesbehörden mitgewirkt und internationale Erfahrungen im Bereich der umweltrechtlichen Politikberatung. Er verfügt über umfangreiche Lehr- und Vortragsexpertise. Neben dem Umweltrecht engagiert sich Dr. Dilling im Kitarecht. www.re-rechtsanwaelte.de/dr-olaf-dilling