VERKEHRSEXPERTE UND AKTIVIST Heinrich StrößenreutheR ÜBER »CLEVERE STÄDTE«


Die Grenzen des Pkw-Wachstums sind überschritten.

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Heinrich Strößenreuther war Manager bei der Deutschen Bahn, Kampagnenplaner bei »Greenpeace«, Startup-Unternehmer, Business Angel und ist ein bekannter Autor. Er hat 2014 die Falschparker-App »Wegeheld« online gestellt. Durch den massenhaften Einsatz der App bezweckt der anerkannte Verkehrsexperte eine Verhaltensänderung bei den VerkehrsteilnehmerInnen. 2018 hat »Wegeheld« neue Funktionen wie das Melden von »Parken auf Sperrflächen« oder »Falschparker- Hotspots, behördlich toleriert« bekommen. Strößenreuther ist hartnäckig und genauso effizient wie die App. Der Rückruf nach unserer Anfrage für ein Interview per E-Mail kam ebenso prompt, wie die Absage, weil seinerseits keine Zeit vorhanden sei. Stattdessen schlug der Verkehrsexperte uns vor, mit O-Tönen aus seinen Blogs und von seiner umfassenden Internetseite zu arbeiten. Wir waren kurz irritiert, erstmals für vorhandene Aussagen die Fragenstellungen zu formulieren und haben überlegt, ob wir uns auf diese Vorgehensweise einlassen sollen. Aber man kann Heinrich Strößenreuther durchaus verstehen. Warum das hundertste Interview geben, wenn von ihm eigentlich alles bereits gesagt wurde, was zu tun ist, um lebenswerte Städte zu schaffen? Insofern haben wir seine Statements als Zitate gekennzeichnet und diesen entsprechende Fragestellungen vorangestellt. Weitere Informationen gibt es unter www.clevere-staedte.de. Die App »Wegeheld« für iOS und Android gibt es kostenlos auf www.wegeheld.org

 


Welche Ziele verfolgt Heinrich Strößenreuther mit seinem verkehrspolitischen Engagement ?

 

»Für gute Städte, Verkehrs- und Klimapolitik sorgen ! An dieser Aufgabe arbeiten wir – ehrenamtlich oder per Auftrag. Wenn wir mit einer cleveren Politik lebenswertere Städte schaffen, sorgen wir gleichzeitig für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Der Name ›Clevere Städte‹ setzt damit bewusst eine Duftmarke zu der derzeitigen Smart-City-Diskussion: Denn tatsächlich brauchen wir viel häufiger neue Gestaltungsprinzipien mit pfiffigem Old-Tech als smartes High-Tech, digitale Überwachungswelten und die Fortschreibung etablierter Technik- Pfade. Clever heißt für uns, Städten, ihren EinwohnerInnen und deren politischen RepräsentantInnen zu helfen, pfiffige, sparsame und lebenswerte Lösungen für eine gute und

nachhaltige Zukunft voranzubringen.«

 

Mit online verbreiteten Apps kann man über das Smartphone FalschparkerInnen auf einer Landkarte eintragen und anzeigen. Man macht einfach Fotos der falsch parkenden Fahrzeuge. Die App erstellt aus den Fotos und Angaben der NutzerInnen in kürzester Zeit rechtlich korrekte Anzeigen und anschließend schickt diese an die E-Mail-Adresse des zuständigen Ordnungsamtes. Darf man das – oder verursacht diese Unterstützung von aufmerksamen BürgerInnen den MitarbeiterInnen im Ordnungsamt einfach nur sehr viel Mehrarbeit? 

 

»Mit der App und etwas Zivilcourage können wir den Ordnungsämtern helfen. Denn die OrdnungshüterInnen können diese Masse an Delikten derzeit nicht allein gewältigen. Würden die Bußgelder für FalschparkerInnen auf das EU-Niveau steigen, gäbe es schnell ein besseres Miteinander und weniger Egoismus auf unseren Straßen.« 

 

Wie war die Medienresonanz auf die »Wegeheld«-Kampagne?

 

»Das ehemalige ›Kavaliersdelikt‹ wird zunehmend als das wahrgenommen, was es wirklich ist: Ein ständiges Ärgernis, denn Falschparker verursachen Staus, gefährden und nerven FußgängerInnen, RadfahrerInnen und alle anderen AutofahrerInnen. Seit die App gestartet ist, berichteten Medien über 500 Mal über das Problem und schufen so ein Bewusstsein dafür in der Öffentlichkeit. Die Wegeheld-Kampagne ist ein voller Erfolg !«

 

Parken auf Fußgängerüberwegen sowie bis zu fünf Meter davor wird mit 15.- Euro Bußgeld sanktioniert, genauso wie Parken im Halteverbot bzw. im eingeschränkten Halteverbot. Reichen 15.- Euro heute noch aus, um abzuschrecken?

 

»Unter Falschparkern leiden besonders Menschen mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator. Aber auch Busfahrgäste und andere AutofahrerInnen kommen durch Staus wegen Zweite-Reihe-Parkern oft nur genervt und gestresst voran. Bislang haben FalschparkerInnen in Deutschland wegen der lächerlich niedrigen Bußgelder kaum etwas zu befürchten. Durch die Wegeheld-App ist zumindest die Gefahr, erwischt zu werden, gestiegen. Etliche Verbände wie der Verkehrsclub Deutschland, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, der Zweirad-IndustrieVerband und der Bundesverband Parken haben sich der Forderung nach angemessenen Bußgeldern für FalschparkerInnen auf EU-Niveau angeschlossen. Sie fordern mittlerweile, die deutschen Bußgelder auf den EU-Durchschnitt von rund 100.- Euro anzuheben.«

 

GegnerInnen sagen, der Heinrich Strößenreuther sei doch nur ein selbsternannter, wild gewordener »Verkehrssheriff«, der hemmungslos FalschparkerInnen anschwärzt. Für einige der KritikerInnen ist er sogar ein »Petzer, Pranger, Denunziant und Blockwart 2.0«. Was entgegnet man auf solche Vorwürfe?

 

»Eigentlich wollen wir alle nur sicher und entspannt von A nach B kommen, egal ob mit dem Rad, im Bus, zu Fuß oder auch mit dem Auto. Wir haben in der Straßenverkehrsordnung viele gute Regeln, und die sollen bitte schön wieder eingehalten werden – besonders von Falschparkern. Der Sinn der App «Wegeheld« ist, das wir weniger Fehlverhalten von anderen Menschen haben. Das erreicht man bei einigen WiederholungstäterInnen, die gedankenlos unterwegs sind. Oft reicht ein freundliches Wort oder ein kleiner Zettel an der Windschutzscheibe. Bei vielen reicht schon der Medienrummel, den wir mit der App erreicht haben, die Anlass war, über das Thema nachzudenken.«

 


Die AutofahrerInnen müssen Flächen abgeben.

 

Wenn alles auf Dauer nichts hilft: Welche radikalen und aufmerksamkeitsstarken Aktionen empfiehlt der Verkehrsrebell, wenn beispielsweise in einem extrem verdichteten Stadtteil von den gleichen AutofahrerInnen immer wieder permanent falsch geparkt wird?

 

»Man kann FalschparkerInnen wegtragen, in Weihnachtspapier einpacken, mit Sprühsahne die Radweg-Markierungen notfalls über Blech nachziehen, die guten alten ›Spuckis‹ oder die

 ›Wegeheld‹-App einsetzen: Es gibt viele Wege, politisch auf FalschparkerInnen aufmerksam zu machen oder mit einem kleinen Stupser einen Hinweis zu geben. Eine Bitte noch: Macht keine Autos kaputt. Auch wenn Ihr über Falschparker wütend seid. Nutzt Eure Kreativität, um Eurer Energie freien Lauf zu lassen und für Veränderung zu sorgen.«

 

Inwiefern ist für eine Verkehrwende »die Politik« gefordert?

 

»Die Grenzen des Pkw-Wachstums sind längst überschritten: Um ein Prozent pro Jahr steigt die Anzahl der Autos in unseren Städten. In Berlin sind das rund 20.000 Pkw zusätzlich, die die Straßen verstopfen und um Parkplätze kämpfen. Das erzeugt Stress. Die Verkehrsflächen für Autos sind längst ausgeschöpft. Wir haben in Berlin nachgemessen: Drei Prozent der Verkehrsflächen stehen für Radfahrer zur Verfügung, für Autofahrer sind es 20 Mal mehr. Leider tut die Politik immer noch so, als ob Parkplätze und Straßen beliebig ausbaubar wären. Diese Haltung aber – konfrontiert mit dem täglichen Stau – macht viele AutofahrerInnen aggressiv. Es führt kein Weg dran vorbei: Die AutofahrerInnen müssen Flächen abgeben. Diesen Konflikt scheuen vor allem altgediente PolitikerInnen. Sie fürchten, auch aus Erfahrungen der Vergangenheit, für solch unpopuläre Entscheidungen gegen das Autoklientel abgewählt zu werden. Dabei ist die Akzeptanz dafür in der Bevölkerung längst da, wie der »Volksentscheid Fahrrad« in Berlin zeigt. 75 Prozent der BerlinerInnen stehen inzwischen hinter dem Ausbau des Radverkehrs, auch die Mehrheit der AutofahrerInnen ! Radentscheide wie in mittlerweile zehn anderen Großstädten in Deutschland können der Politik helfen, diesen Flächenkonflikt mit der Unterstützung der BürgerInnen zu lösen.«

 

Müssen wir vermehrt auf das Fahrrad umsteigen? 

 

»Für lebenswerte Städte und für den Klimaschutz brauchen wir mehr Radverkehr. Der wächst bereits, aber er braucht auch Platz: mindestens 150 Zentimeter Abstand zu parkenden und fahrenden Autos laut Gerichtsurteilen. Aber auch Abstand zu anderen Radfahrern zum Überholen oder Nebeneinanderfahren wie beispielsweise in Kopenhagen oder Amsterdam. Und es braucht Platz für Poller und Bordsteine, die das Falschparken erschweren und vorbeidonnernde Lkw, Lieferwagen und Autos auf Abstand halten. Es hat sich gezeigt, dass breite und vom Autoverkehr abgetrennte Radwege die meisten Menschen auf das Fahrrad bringen – der Schlüssel für die Verkehrswende. Denn mehr Radverkehr mindert Verkehrsprobleme wie Staus oder schlechte Luft am schnellsten und billigsten.«

Wie schafft man es überhaupt zeitlich und finanziell, die verschiedenen Projekte von »Clevere Städte« voranzubringen ? 

 

»Als Initiative arbeiten wir ehrenamtlich und gemeinnützig; die Aufträge für die Agentur ermöglichen dieses Engagement. 

 

Jeder Auftrag hilft uns, probono in der Sache gute Städte, Verkehrs- und Klimapolitik zu arbeiten. In den letzten Jahren waren das mehr als 500 Tage, den Löwenanteil davon für den Volksentscheid Fahrrad.«

 

Welche übergeordneten konkreten Zielsetzungen könnten für lebenswerte Städte kurzfristig umsgesetzt werden?

 

»Die Menschen sollen aufmerksamer miteinander umgehen. Wenn jemand beispielsweise vor einem abgesenkten Bordstein parkt, sieht das aus Autofahrer-Perspektive noch nicht schlimm aus. Für körperlich eingeschränkte Menschen, SeniorInnen mit Rollatoren, RollstuhlfahrerInnen und Eltern mit Kinderwagen ist das aber ein Hindernis beim Überqueren der Straße – eine große Einschränkung in ihrer Lebensqualität. Und ja, auch Radfahrer sind keine Engel. Aber die Gefahr, die von einertonnenschweren Maschine ausgeht, ist ungleich größer. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will laut Koalitionsvertrag die Straßenverkehrsordnung novellieren. Das ist höchste Zeit. Denn mehr Regeltreue, weniger Unfälle und eine Justiz mit abschreckenderen Urteilen, wenn es um Leib und Leben geht, würden zu einem sicheren und attraktiven Radverkehr beitragen und ein wichtiger Schritt zu einer nachhaltigen Verkehrswende sein.«

 

Textrecherche und Dokumentation: Mathias Rätsch, Foto: Pressefoto, © Heinrich Strößenreuther, erschienen in Ausgabe Nr. 14, 2020

 

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Foto © Pressefoto, © Heinrich Strößenreuther