Kyrylo Shchyptsov UND Gerhard Suhlrie SIND »DOTYK«


Wir passen in keine Schublade.

Jörg Lochmon ist im Kulturzentrum Schlachthof mit zuständig für das Programm in Bremen Findorff Findorffer Geschäftsleute Magazin Stadtteil Bremen Einzelhandel Gastro Restaurants essen gehen

Bei DOTYK trifft moderne Looptechnik auf die Klänge des Schlagzeuges und hohe Komposition auf Jazz Feeling. Kyrylo Shchyptsov ist Komponist, Gitarrist und Gründer von DOTYK. 2021 kam Schlagzeuger Gerhard Suhlrie dazu. Das neue Werk »After the End« ist mehr als ein Album. Es ist ein instrumentales Statement als Klangbild, durch das eine visuelle Bühne entsteht. Das Album gibt es als Download oder CD über www.dotyk.de

 


Hallo ihr beiden. Ihr seid unter den Namen DOTYK bekannt. Was bedeutet dieser ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Ich komme aus der Ukraine. Auf ukrainisch bedeutet Dotyk »Berührung«. Dieses Wort hat für mich zwei verschiedene Bedeutungen. Ich arbeite viel mit der Looptechnik, bei der man ständig etwas drücken muss, vor allem mit den Füßen. Daher kam die erste Verbindung, denn das taktile Gefühl der Berührung ist dort allgegenwärtig. Außerdem hat Berührung natürlich auch noch eine emotionale Bedeutung: Musik berührt die Seele, den Spirit. So kam alles zusammen – und so entstand der Name. 

 

Kyrylo, du hast gerade erwähnt, dass du in der Ukraine aufgewachsen bist. Wieso hast du dich für Bremen entschieden ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Ich lebe mittlerweile seit 15 Jahren in Bremen. Damals bin ich zum Studium nach Bremen gekommen.  Das war relativ spontan. Eigentlich wollte ich woanders studieren. Irgendwie bin ich hier gelandet – und gerne geblieben. 

 

Wie habt ihr als musikalisches Duo zueinander gefunden ?

 

Gerhard Suhlrie: Wir haben uns auf einem KollegInnentreffen kennengelernt und sind dort ins Gespräch gekommen. Kyrylo hat mir erzählt, dass er eigene Musik komponiert und macht. Ich war direkt interessiert und habe angeboten, dass wir zusammen Musik machen könnten – wenn er Interesse hat. 

 

Kyrylo Shchyptsov: Zu der Zeit war ich auf der Suche nach Erweiterung. Ich war in einer Gruppe, für die ich komponiert habe. Als die sich aufgelöst hat, habe ich viel solistisch gespielt. Das hat mir nicht gereicht. Ich brauchte einen Schlagzeuger. Ich brauche MusikerInnen um mich herum, um weiterzukommen. 

 

Seid ihr denn auch außerhalb der Musik befreundet ?

 

Gerhard Suhlrie: Ja, definitiv. Wenn man so eng zusammenarbeitet, dann wird es privat. Das lässt sich gar nicht vermeiden. 

 

Ist eure eigene Erfahrung in der Musikwelt verknüpfbar mit eurem Unterricht an der Musikschule Bremen ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Ich integriere alles, was ich gelernt habe in meinen Unterricht. Für mich ist es wichtig, dass die Kinder in die Richtung der Selbstgestaltung und Selbstbestimmung gehen. Ich taste mich mit ihnen immer an neue Gebiete heran, damit sie ihre Kreativität nutzen können. Wichtig ist mir, dass sie Vertrauen zu sich selbst aufbauen. 

 

Eure Musik hat etwas ganz Besonderes. Mögt ihr kurz zusammenfassen, was eure Musik so einzigartig macht ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Es ist eine neue Art des Komponierens und Performens. Normalerweise ist jeder für seinen Part zuständig. Bei uns ist das anders. Ich spiele alle Stimmen ein, sowohl Gitarre als auch virtuelle Instrumente. Anschließend bearbeite ich diese, was eine bestimmte Art von Komponieren erfordert. Es ist ein bisschen wie Legos bauen, wenn ich Parts einfüge und sie rausnehme. Wenn ich damit fertig bin, unterstützt Gerhard alles mit dem Schlagzeug. Das ist für mich das, was uns unterscheidet: Wir schaffen es, sehr viele verschiedene Klänge zu produzieren. Wir sind zu zweit, aber es klingt wie eine Band. Durch diesen Arbeitsprozess gewinnt man stets neue Eindrücke. Es kommen immer wieder kleine Überraschungen. Ich bin oft in so einer Bubble, da ich mit meinem ganzen Körper spiele und somit ein »Ein Mann Orchester« bin. Wir passen in keine Schublade. Wir sind eine eigene Kategorie. 

 

Gerhard Suhlrie: Kyrylos Looptechnik und seine Art zu Schreiben macht DOTYK besonders. Ich könnte überhaupt nicht so schreiben wie er. Es ist bisher meine Lieblingsarbeit im musikalischen Bereich, weil ich freie Hand habe, wenn es um meinen Schlagzeugpart geht. Wenn wir über Schubladen reden, ist unsere Musik ein bisschen wie Jazz. Bis auf meinen Part ist aber nichts improvisiert. Die Songs sind vollständig durchkomponiert. Wir haben uns auf den Begriff »Chamber Jazz« geeinigt.

 

Kyrylo Shchyptsov: Eine Besonderheit gab es bei unserem Stück »Dark matters«, in das Markus Stockhausen mit dem Flügelhorn viel Improvisation reingebracht hat. Das finde ich super. Es war so ungewöhnlich, dass unsere strukturierte Musik einen neuen Einfluss bekommen hat, von jemandem der unsere Musik aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet. Ich war und bin sehr begeistert, was Markus Stockhausen zu dem Song beigetragen hat.

 

 


Musik ist ein stetiger Wandel.

Habt ihr eine Lieblingsgeschichte hinter einem Song ? 

 

Kyrylo Shchyptsov: Da der Prozess Monate dauert, ist es schwierig, einen Song mit einem spezifischen Moment zu verknüpfen. Kennst du das, wenn du ein Buch liest und du ein Gefühl oder eine Stimmung mit diesem verknüpfst ? Ich kann dir nach ein paar Monaten vielleicht nicht mehr genau sagen, worum es ging, aber ich weiß, dass ich das Buch liebe. 

 

Welche Musik inspiriert euch ? Was hört ihr privat ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Ich höre zu 95% Jazzmusik. Die Meisterstücke inspirieren mich und ich kann aus ihnen schöpfen. Mein musikalischer Background ist in der klassischen Musik, in der ich gelehrt wurde. Ich mag Klassik zwar immer noch, aber diese Musik war als Schwerpunkt meines Studiums so lange der Fokus in meinem Lebens, dass ich jetzt etwas Neues machen möchte. Klassische Musik ist so riesig, so anders gestrickt und fundamental, da kommt man nicht drum herum – man muss sie kennen und verstehen. Den Jazz habe ich erst später für mich entdeckt. Ich muss zugeben, dass ich auch sehr gerne Disneymusik mag (lacht) – ich weiß nicht so richtig warum. Der Film »Lalaland« hat großartige Musik. Es gibt einfach Songs, die so genial geschrieben sind und einem im Kopf bleiben, dass ich mich immer frage: Wie kann man so etwas schreiben ? Diese Songs höre ich immer wieder. Wenn man so etwas mit einem Lied, einem Stück erreichen kann – das ist Kunst für mich. 

Gerhard Suhlrie: Ich höre viel Jazz, viel Rock. Ich komme vom Rock, der meine Jugend geprägt hat, bin aber auch zur Klassik gekommen. In der neueren klassischen Musik sind es die moderneren KomponistInnen, die mich reizen. Igor Strawinsky ist ganz weit vorne. 

 

Es ist nicht zu überhören, dass ihr Musik mit viel Emotionen verknüpft. Sind die euer Lieblingspart, wenn ihr Musik macht ? 

 

Kyrylo Shchyptsov: Für mich ist es immer der Moment nach der Erschaffung – der Moment, wenn ich ein Stück fertig geschrieben habe und es bühnenfertig ist. Der Anfang ist immer eine Suche nach dem Unbekannten, aber sobald du diese ersten Töne als Anfang gefunden hast, weißt du, dass du genau das gesucht hast. Diese Glücksmomente sind ein kleiner Teil. Der größte Teil ist Arbeit. Doch die Arbeit lohnt sich, damit wir am Ende diesen kleinen Teil genießen können.

 

Gerhard Suhlrie: Es ist wirklich toll, wenn das, was nur in unseren Gedanken existiert hat, auch hörbar wird. 

 

Eure Gedanken wurden mit dem neuen Album »After the end« veröffentlicht. Cover und Sound versprühen einen ziemlich melancholischen Vibe. Was hat es mit dem Titel auf sich ?

 

Kyrylo Shchyptsov: In meinem momentanen Lebensabschnitt schließen zur Zeit viele Dinge ab und neue fangen an. Das Album soll symbolisieren, dass das Ende nicht Dunkelheit bedeutet. Es bedeutet einfach, dass Platz für etwas Neues geschaffen wird. Ein Teil meines Lebens muss abgeschlossen werden, damit ich weitergehen kann. Nach dem Ende kommt ein neuer Anfang. 

 

Gerhard Suhlrie: Oft ist die erste Assoziation mit »After the end«, dass nach dem Ende etwas Negatives, Böses kommt oder eben gar nichts mehr; dass dann kein Leben mehr ist. So verstehen wir es aber nicht. Alles ist offen. Natürlich kann etwas Negatives kommen, aber im Prinzip ist es ein Neubeginn. Nach einem Ende beginnt etwas Neues und das ist definitiv etwas Positives. 

 

Apropos neue Lebenskapitel: Beeinflussen persönlich Veränderungen eure Musik oder ist die sowieso ein stetiger Wandel ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Ich würde eher sagen, dass Musik ein stetiger Wandel ist. Musik ist immer da, sie ist und passiert permanent – wie atmen. Alles außen herum kommt dazu. Bei mir ist es nicht so, dass ich aus einem äußeren Einfluss heraus etwas kreiere, aber vielleicht kommt das noch. Ich würde mich freuen. 

 

Habt ihr spezifische Wünsche für eure musikalische Zukunft ?

 

Kyrylo Shchyptsov: Das ist eine komplexe Frage. Sobald wir die Studioarbeit abgeschlossen haben, fängt erst die richtige Arbeit an. Heutzutage ist es schwierig mit deiner eigenen Musik groß rauszukommen, deinen Platz zu finden. Damit dieser Traum wahr werden kann müssen wir sehr viel dafür tun. Dazu zählen Promotion, Marketing und die Kontaktaufnahme mit Festivals und Agenturen. Ich kann nicht wissen, was letztendlich der Punkt ist, der uns auf die Bildfläche bringt – also muss ich in alle Richtungen gehen. Ich wünsche mir, dass wir diesen Punkt finden. Unser erstes Album durften wir im ausverkauften Schlachthof präsentieren. Ich freue mich, dass wir unsere neue Musik zur Live-Premiere am 20. November um 19:30 Uhr in der Kulturkirche St. Stephani in Bremen präsentieren dürfen. 

 

Interview: Lilli Schmitz, Foto: Tetyana Chernyavska, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 35, 2025  

 

Foto © Tetyana Chernyavska
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