SPIELPLATZ AN DER CORVEYSTRASSE


Märchenhaft

© Ercan Yildirim, www.ey-fotografie.de
© Ercan Yildirim, www.ey-fotografie.de

 

Es war einmal ein verwunschener Spielplatz, der hatte wunderschöne, große, alte Bäume, in denen die Vögel zwitscherten, die Blätter raschelten und der Specht klopfte. Etwas entfernt konnte man irgendwo das Rattern der Züge und Rauschen der Autos hören, aber das störte nicht weiter. Auf dem Platz selbst gab es viele, viele Kinder, die  – na, was wohl ?  – natürlich spielten ! Die Wasserpumpe quietschte, ein Ball traf die neue Torwand und auf dem Klettergerät ließ man sich faul hängen oder bestieg mutig unsichtbare Berge in luftigen Höhen. Kurzum: Auf diesem Spielplatz tobte tatsächlich noch das echte, wilde Leben, aber es gab auch stille Ecken zum Verstecken. 

 

Jeden Tag galt es, neue Abenteuer zu bestehen. Kein Wunder, denn was kaum jemand nach ungezählten Sonnenaufgängen noch wusste: Der verwunschene Spielplatz hatte ein Geheimnis. Er war einst in den goldenen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als einer der ersten »Abenteuerspielplätze« anglegt worden; zu einer längst vergangenen Zeit, als die üblichen Plätze zum Spielen für Kinder oft noch ein bisschen »uncool« waren. 

 

Dieser Spielplatz aber war von Anfang an ein ganz besonderer Ort, der vom ersten Tag an von emsig-eifrigen Menschen in sogenannten »Spielplatzinitiativen« betreut wurde – und für sie waren auch die damals noch sehr langweiligen Spielgeräte absolut tabu. Stattdessen wurde viel lieber begeistert selbst gebaut, Feuer gemacht, im Gebüsch gespielt und auf Bäume geklettert. 

 

Damals, als die Erwachsenen von heute selbst noch Kinder waren, – und ja, das waren sie tatsächlich einmal – der Fernseher tagsüber schweigend nur ein Testbild zeigte und niemand sich etwas wie Internet und Smartphones überhaupt vorstellen konnte, wurden im kleinen Spielhaus am Vormittag des 24. Dezembers zu Weihnachten spannende Filme gezeigt, damit die Eltern für ihre Kinder zu Hause in Ruhe den Heiligabend vorbereiten konnten. Solche witzigen Aktivitäten gibt es heute nicht mehr, aber die Spielplatzinitiative mit verschiedenen Spielangeboten und Kaffee und Tee ist immer noch da – auch nach dem Abriss des nach vielen Jahren sehr alt gewordenen Spielhauses, das eigentlich flugs ersetzt werden sollte. Doch eines Tages geschah etwas Seltsames, was sich heute niemand mehr so richtig erklären kann. Einige Leute in den großen Behörden verfolgten eine chier unglaubliche Absicht: Weil es wie aus dem Nichts wieder mehr Kinder in der Stadt gab, wollten sie nun unbedingt statt eines kleinen Spielhauses eine Riesenkita bauen. Und wo wollte man die bauen ? Ausgerechnet auf dem verwunschenen Spielplatz, dessen eine Hälfte von dem riesigen Bau für immer und ewig verschluckt worden wäre. Ja, so hätte es kommen können. Aber als die Pläne für die schon riesige Riesenkita immer noch riesiger und riesiger und riesiger wurden, machte das viele BewohnerInnen im Stadtteil sehr wütend – und die Kinder vom Spielplatz sowieso. Sie riefen »Etwas besseres als diesen Unsinn findest du überall !« und sie fragten »Was soll das ? Es gibt bei uns doch schon viel zu wenig Platz zum Spielen !« 

 

Schnell wie der Wind sammelte man auf dem Dorffmarkt ganz viele Unterschriften gegen den Bau, Kinderreporter drehten ein Protest-Video und die Erwachsenen trafen sich an einem runden Tisch, um zu diskutieren. Vielleicht weil es Vollmond war, vielleicht aber auch, weil man der Spielplatznot im Stadtteil mit den dichten Häusern und Straßen voller Autos doch noch gewahr wurde, wollte man den verwunschenen Spielplatz von einem Tag auf den anderen doch nicht mehr bebauen. Was auch immer der Grund gewesen sein mag: Keiner hat es je erfahren – und schlussendlich ist es ja auch egal. Der verwunschene Spielplatz mit den großen, alten Bäumen war noch einmal gerettet worden. Nur diese Rettung zählte am Ende – und wie ja jedes Kind weiß: Ein verwunschener Spielplatz ist nicht nur für die Kinder, sondern als grüne Oase auch für alle anderen BewohnerInnen im Stadtteil da. Wie zum Beispiel für jene ältere Frau, die man an tropisch heißen Sommerabenden manchmal auf dem Spielplatz treffen kann, weil es in ihrer Wohnung viel zu heiß ist. Stattdessen sitzt sie lieber mit einem guten Buch und einer kühlen Wasserflasche auf der schattigen Bank, um die Stimmung der wunderschönen Dämmerung mit Vogelgezwitscher und Blätterrascheln zu genießen. Und wenn sie noch nicht ausgelesen hat und heute wieder einmal ein lauer Abend sein sollte, sitzt sie wohl auch diesmal da. Du kannst ja einfach hingehen und nachsehen.

 

Text: Kay Grimmich, Foto: Ercan Yildirim