CARSTEN DIETZ ÜBER DIE KUNST MIT KUNST ZU ENTSCHLEUNIGEN


Diese Entschleunigung zieht viele Menschen an.

Jörg Lochmon ist im Kulturzentrum Schlachthof mit zuständig für das Programm in Bremen Findorff Findorffer Geschäftsleute Magazin Stadtteil Bremen Einzelhandel Gastro Restaurants essen gehen

Carsten Dietz ist 63 Jahre alt, Sumi-e-Maler und Minimalist mit Herz. In seinem spartanisch asiatisch eingerichteten Atelier in Bremen gibt es mehr Pinsel als Hemden – was für ihn eine Frage der Prioritäten ist. »Mein Kleiderschrank hat genau 26 Teile«, erzählt er, »aber bei den Pinseln gilt: je mehr, desto besser.« Manfred Schloesser traf für FINDORFF GLEICH NEBENAN den Künstler Carsten Dietz zum Interview. Mehr im nachfolgenden Interview über ein »malerisches« Angebot, das Kreativität, Spiritualität und Achtsamkeit verbindet. Weitere Informationen auf www.sumie-art.de

 


Herr Dietz, was ist Sumi-e ?

 

»Sumi-e« bedeutet wörtlich »Tuschebild« – und das ist es auch: minimalistische Kunst, die mit schwarzer Tusche und Wasser verschiedene Schattierungen von Schwarz bis Grau erzeugt. Es geht

darum, die Essenz eines Motivs einzufangen, statt es naturgetreu abzubilden. Berge, Bambus oder Vögel werden auf das Wesentliche reduziert. 

 

Wie kamen Sie zur Sumi-e-Malerei ?

 

In den Achtzigern bin ich in Braunschweig zum ersten Mal auf Sumi-e gestoßen – und war sofort hin und weg. Damals während meines Kunststudiums war der Minimalismus schon mein Ding. Leider gab es damals kaum Literatur dazu, und asiatische Kunst war in Deutschland noch weitgehend unbekannt. In ganz Braunschweig lebten vielleicht fünf Chinesen und zwei Japaner. Da war nix mit Unterricht nehmen.

 

Wann begann Ihre intensive Beschäftigung mit Sumi-e ?

 

In den Neunzigern bin ich häufig nach Asien gereist, um von Sumi-e-Meistern zu lernen. Damals gab es weder Internet noch die heutige Verfügbarkeit von Informationen, also suchte ich vor Ort nach KünstlerInnen. Mit viel Geduld und Interesse konnte ich ihr Vertrauen gewinnen.  Ich habe so lange gesucht, bis ich Sumi-e-Meister gefunden habe, die bereit waren, mir etwas beizubringen. Besonders prägend war eine Lehrerin in Japan. Sie hat über 200 Dollar pro Stunde verlangt – unbezahlbar für mich. Aber als sie meine Bilder sah, meinte sie: Wenn Sie Sumi-e in Europa bekannter machen, unterrichte ich Sie umsonst.

 

Ist das nicht eine Art kultureller Aneignung ?

 

Ganz im Gegenteil ! Die Meister dort sehen mich als Botschafter ihrer Kunst. Viele waren sogar dankbar, dass ich mich für Sumi-e interessiere. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt in Japan und Taiwan die eigene Kultur oft als altmodisch. Sumi-e wurde fast verdrängt von westlicher Malerei à la Van Gogh. Heute erlebt die Kunstform ein Comeback – und das Interesse von Europäern trägt dazu bei. In gewisser Weise helfen wir also, diesen Schatz wieder ins Bewusstsein zu rufen.

 

Wie steht es heute um Sumi-e in Asien ?

 

Inzwischen hat die Sumi-e-Malerei in Asien wieder an Bedeutung gewonnen. Junge Künstlerinnen und Künstler nutzen die Technik, um moderne, oft experimentelle Werke zu schaffen. Gleichzeitig hat Sumi-e auch in der Gesellschaft einen neuen Stellenwert erlangt: Viele gestresste Manager nehmen Unterricht, um sich zu entspannen. Die Malerei wird als Weg zur Entschleunigung geschätzt. Auf den ersten Blick wirkt sie einfach, doch der Schein trügt: Die Kunst erfordert Gelassenheit und Konzentration. Jeder Pinselstrich ist endgültig – Wegradieren oder Übermalen ist nicht möglich. Diese Entschleunigung zieht viele Menschen an.

 

Wie genau wirkt Sumi-e entspannend ?

 

Der Prozess beginnt schon bei der Vorbereitung: Man zerreibt den Tuschestift in speziellen Tonschalen mit Wasser – eine meditative Zeremonie. Erst dann nimmt man den Pinsel zur Hand und beginnt mit grundlegenden Übungen, wie dem Malen eines Bambus.

 


Die Grundausstattung ist überschaubar: Ein Pinsel aus Naturhaar, Tusche, Papier und ein Reibstein.

Ab wann gilt jemand als Sumi-e-Meister ?

 

In Asien sagt man: »Den Bambus richtig zu malen, dauert ein Leben lang. Für den Lotus braucht man noch länger.« Es gibt dort niemanden, der sich selbst als Meister bezeichnet. Jeder bleibt ein Schüler auf dem Weg.

 

Was ist das Besondere an Sumi-e ?

 

Es geht um Reduktion: Die Kunst besteht darin, mit wenigen Strichen den Fokus auf das Wesentliche zu setzen. Ein Vogel, dessen Augen und Kopf detailliert sind, während der Körper nur angedeutet wird, wirkt besonders ausdrucksstark. Durch geschickte Abstufungen der Tusche entsteht zudem die Illusion von Farbe. Einmal wollte jemand ein Bild von mir kaufen – ein Rotkehlchen mit rotem Bauch. Das Bild war jedoch nur schwarz-weiß. Die Farben entstehen im Kopf des Betrachters. Interessanterweise sehen die Menschen in Asien in meinen Werken einen europäischen Einfluss, während man mich in Deutschland als asiatischen Künstler wahrnimmt. In Japan und Taiwan hatte ich bereits zahlreiche Ausstellungen, die oft auf großes Interesse stoßen. 

 

Was macht Ihre Sumi-e-Werke besonders ?

 

Ich halte mich nicht strikt an klassische Regeln. In Asien würde niemand Dinosaurier oder Jazzmusiker malen – ich schon.

 

Diese Freiheit wird vor allem in Japan geschätzt Warum wächst das Interesse an asiatischer Kultur in Europa ?

 

Ich denke, viele Menschen suchen heute nach Ruhe und Einfachheit. Asiatische Künste wie Sumi-e bieten genau das: eine Verbindung von Kreativität, Spiritualität und Achtsamkeit.

 

Für wen ist Sumi-e geeignet ?

 

JedeR kann Sumi-e lernen – unabhängig von irgendeiner künstlerischer Erfahrung. Es braucht lediglich etwas Geduld und Offenheit. Man braucht keinerlei Vorkenntnisse, nur Geduld und Offenheit. Wer Lust hat, kann gerne einen Kurs bei mir im Überseemuseum besuchen. Ich verspreche: JedeR bekommt seinen Bambus hin. 

 

Welche Materialien benötigt man für Sumi-e ?

 

Die Grundausstattung ist überschaubar: Ein Pinsel aus Naturhaar, Tusche, Papier und ein Reibstein. Ein Starterset gibt es ab 50 Euro. Klar, Profi-Equipment ist teurer, aber im Vergleich zu anderen Hobbys bleibt es günstig. Und wer weiß – vielleicht entdecken Sie ja das Sumi-e-Gen in sich ?

 

Herr Dietz, vielen Dank für das Gespräch – und die Lektion in Schwarz und Weiß !

 

Interview und Foto: Manfred Schlösser, www.manfredschloesser.de, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 34, 2025 

 

 

Foto © Manfred Schlösser
Foto © Manfred Schlösser