Christopher Blenkinsop SINGT UND SPIELT BEI DEN »17 HIPPIES«


Die Welt ändert sich schneller, als es vielen lieb ist !

Die »17 Hippies« machen zeitlose, melancholische Musik. Seit 20 Jahren hat die Band mehrfach die Welt umtourt und gehört zum originellsten Kolorit der deutschen Musiklandschaft. Ihre Sprache ist international. Sie geben das wieder, was sie sind – nicht mehr und nicht weniger. Die anarchiezelebrierende musikalische Anfangszeit klingt weiterhin durch: Die Dauerbrenner sind wahre Glanzstücke und stehen in stilsicherem Kontrast zu den neueren Songs. Mehr unter www.17hippies.de 

 


Moin, Christopher, Du spielst, singst und komponierst für die »17 Hippies«. Seit Ende Dezember seid ihr wieder auf Tournee. Der Februar fängt für Bremen gleich gut an: Am Freitag, den 01. Februar tretet Ihr im »Schlachthof« an der Findorffstraße auf. Was dürfen wir von Euch an diesem Abend erwarten ? 

 

Das ist ungefähr die schwerste Frage, die man vor der Tournee überhaupt stellen kann. Das wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, da wir erst anfangen zu proben. Zunächst werden wir die neuen Songs einüben, um sie auch live zu spielen. Wenn wir die geprobt haben, schauen wir in unser Repertoire der vielen, vielen vergangenen Jahre und suchen weitere Stücke aus, von denen wir glauben, dass sie zu den neuen Songs passen, um einen typischen Hippie-Konzertabend zu gestalten.

 

Die Live-Konzerte der »17 Hippies« sind wilde musikalische Auftritte voller unbändiger Spielfreude. Wie schafft man es immer wieder, das Publikum mit anspruchsvoller, aber auch sehr tanzbarer Musik in Partystimmung zu bringen ?

 

Wir sehen jeden Abend als einen ganz eigenen Abend: Wir improvisieren sehr viel und lassen uns vom Publikum vor Ort inspirieren. Hallo, BremerInnen, Ihr seid aufgefordert, Euch daran zu beteiligen !

 

Die neue CD »Kirschenzeit« ist ein angenehm ruhiges, fast abgeklärtes Album geworden. »Kirschenzeit« ist Sommerzeit; das Album ist aber Ende November erschienen und die Kirschen auf dem Cover sind auch keine Kirschen, sondern blutrote Boxhandschuhe. Was hat es mit dem Titel auf sich ?

 

Ich glaube, wir erleben alle gerade Zeiten, in der die Welt nicht mehr so funktioniert, wie wir es uns gedacht haben. Sie ändert sich schneller, als es vielen lieb ist oder für uns bequem wäre. Davor können wir uns nicht mehr zurückziehen. Wir müssen Haltung zeigen und Entscheidungen treffen, die wir nicht mehr auf andere abwälzen können. Es sind heute auch Zeiten, um wieder kämpferischer zu werden, damit unsere Zukunft genauso wird, wie wir es wollen. Das Album haben wir tatsächlich im Sommer in der »Kirschenzeit« aufgenommen. Der Albumtitel bezieht sich auch auf die deutsch-französische Geschichte. In Frankreich steht der Begriff »Kirschenzeit« als «Le temps des cerises« sinnbildlich für Aufbruch. Die Barrikaden-Aufstände der Pariser Kommune von 1871 wollten die Welt verändern. 

 

Ihr seid weder 17 MusikerInnen noch alle Hippies. Auch ich muss es daher fragen: Welche Bedeutung hat Euer Bandname ? 

 

Heutzutage ist es so, dass sich der Begriff »Hippie« geändert hat. Es kommen Leute zu uns, die sagen: »Ahh, Hippies, das seid ja ihr !« Am Anfang hatte der Name für uns gar keine Bedeutung. Er war zu der Zeit die größtmögliche Provokation, um Punkbands zu schocken. Die Frage war: »Was können wir tun, damit die sich aufregen ?« Der Bandname »17 Hippies« war nicht für immer gedacht – aber er ist an uns hängen geblieben.

 

Die »17 Hippies« gibt es seit 22 Jahren. Ihr habt über 20 Alben veröffentlicht und weltweit in über 25 Ländern gespielt. Zudem haltet ihr seit 1997 mit 18 Konzerten an einem Tag auch den »Weltrekord der meisten Konzerte innerhalb von 24 Stunden«. Alle MusikerInnen sind musikalische IndividualistInnen. Wie hält man eine solche Gruppe zusammen ? 

 

Kennst Du das Spiel, wenn mehrere Leute auf einer Straße gehen und irgendwer kickt immer wieder eine Dose ? So ist das auch bei uns: Irgendwer kickt diese Dose immer. So gehen wir gemeinsam die Straße entlang. Wenn man nur zu dritt ist, kann es schnell langweilig werden. Wenn es aber dreizehn MusikerInnen und weitere Menschen im Hintergrund gibt, dann ist dieses Spiel niemals langweilig und Du hältst es einfach lange aus. 

 

Dreizehn MusikerInnen heißt auch die Abendgage mit allen Bandmitgliedern zu teilen. Ist das nicht etwas schmerzlich, weil in einer klassischen Band mit vier MitspielerInnen für jeden viel mehr übrig bleiben würde ? Wie regelt Ihr das ?

 

Wir regeln das, indem wir fast alles selbst machen. Wir haben unser eigenes Management. Wir machen unser eigenes Merchandising. Wir haben unseren eigenen Verlag. Die Bandmitglieder sind auch die Leute, die tatsächlich alles selbst machen. Das funktioniert gut, weil wir viele sind. Es reicht nicht für einen Ferrari, aber es reicht, um immer weiter zu machen.

 

Rock, Pop, Balkanklänge, Cajun, Chanson, Country: Eure Musik ist ein Mix aus vielen Stilen. Gibt es einen heimlichen oder offensichtlichen »Bandleader«, der das Sagen hat – oder werden alle Entscheidungen basisdemokratisch getroffen ? 

 

Bei den »17 Hippies« werden so gut wie keine Entscheidungen getroffen. Es gibt bei uns die »Hippiemühle«: Wenn man eine Idee hat, muss man durch die durch. Wenn also jemand die großartige Idee hat: »Wir sollten rückwärts in Badehose den Mount Everest besteigen !«, dann kann das gern jemand vorschlagen, aber es wird nicht passieren. Wenn man musikalisch etwas macht, dann muss das etwas damit zu tun haben, was vielleicht gerade in der Luft liegt. Das kann man dann auch formulieren. Ich mache das im musikalischen Sinne, liege aber oft daneben und manchmal eben auch nicht. Das letzte richtige Album, das wir gemacht haben, war ein überwiegend instrumentales Album mit ein paar Jazzrock-Nummern. Die neue CD »Kirschenzeit« ist eindeutig ein Songalbum geworden. Uns ging es diesmal darum, ein sehr persönliches Album zu schaffen. Eine Möglichkeit heutzutage mit unserer Zeit umzugehen ist, sehr persönlich zu werden – nicht larmoyant, sondern persönlich. Sehr persönlich sind alle Texte und dadurch auch alle Songs auf dem Album.

 


Vorbilder sind Leute, die eine große Energie haben.

 

Welche MusikerInnen haben die »17 Hippies« beeinflusst ? 

 

Da müsstest Du jeden Einzelnen von uns fragen. Als ich 14 Jahre alt war, sah ich Muddy Waters auf der Bühne. Ich dachte als Jugendlicher: »Genau so etwas möchte ich auch machen – Musik machen, die ich auch bin !« Ich glaube, genau deshalb machen wir das nach so langer Zeit auch immer noch. Um solche Vorbilder geht es aber nicht mehr. Vorbilder sind heute Leute, die man trifft und die eine große Energie haben, um gute Dinge zu tun; die vorangehen und mit denen man mitgehen möchte – um gemeinsam Überraschendes zu tun. Diese besondere Energie hält einen einfach am Leben.

 

Deutsch singen ist bei jungen Bands heute selbstverständlich. Wie erklärst Du Dir diese Entwicklung ?

 

Deutsche Texte waren bis in die Achtzigerjahre eher peinlich – bis auf ein paar Ausnahmen wie Songs von Udo Lindenberg oder Rio Reiser. Auffällig im deutschen Rap ist zum Beispiel, dass wahnsinnig viele aus dieser Szene einen Migrationshintergrund haben. Die stellen fest: »Hey, ich kann ja gar kein Englisch. Wenn ich etwas sagen will, muss ich deutsch singen, denn sonst versteht mich keiner.« Die Entwicklung zu mehr deutschen Texten hängt auch damit zusammen. Unsere Welt hat sich geändert. Die deutsche Sprache wird auch mittlerweile nicht mehr damit verbunden, dass frühere Generationen mit ihrem »Deutschsein« ein Trauma hatten. Sie gehört zur Lebens- realität der Generation »jetzt«. Wenn unsere Sängerin Kiki in »Wach vor Liebe« etwas auf französisch singen würde, könnte das vielleicht hübsch sein und auch so empfunden werden; wenn sie es aber auf deutsch singt, wird es jeden berühren.

 

Was machen die Mitglieder der »17 Hippies« eigentlich, wenn sie nicht gerade unterwegs auf Tournee in der ganzen Welt oder für ein neues Album im Studio sind ?

 

Einige von uns arbeiten auch für unser Management und den Verlag. Drei spielen sehr viel in der Band von Lüül, der bei den »17 Hippies« vorrangig Banjo spielt. Unser Schlagzeuger spielt mit allen und allem, was nicht niet- und nagelfest ist. Zwei von uns haben bürgerliche Berufe. Einer ist Schauspieler und macht viel Synchronarbeit. Ein anderer hat einen ganz normalen Job im Büro. Beide können ihre Zeit aber flexibel handhaben, um bei den »17 Hippies« im Studio und auf Tour dabei zu sein.

 

Was war bisher Euer interessantester Auftrittsort ? 

 

Mich persönlich hat ein Aufritt in einem kleinen Ort namens »Tlemcen« in den Bergen von Algerien sehr berührt. Dort ist es sehr grün, die Landschaft sieht aus wie in Schleswig-Holstein. An den drei Tagen, an denen wir zu Gast waren, hat es die ganze Zeit genieselt. Wir haben live gespielt und nach dem Konzert haben wir uns Backstage noch unterhalten. Als wir dann aus der Halle kamen, hat das Publikum immer noch auf uns gewartet – um mit uns zu reden. Wir standen im Nieselregen, haben gequatscht und Tenor war: »Wir haben hier genauso wie ihr »facebook« und die ganzen digitalen Kanäle – nur ihr könnt einfach weiter reisen, aber wir können von hier niemals weg.« Diese Aussage hat mich berührt und begleitet mich bis heute. Durch solche Begegnungen wird mir bewusst, dass unsere Welt digital zwar sehr zusammengezurrt ist, aber es dennoch viele Menschen gibt, die aus ihrer analogen Lebenssituation nicht heraus können – anders als wir hier, die, wenn wir Bock darauf haben, kurz in den Flieger steigen und das Abenteuer beginnt. 

 

Gibt es noch eine Bühne auf der Welt, auf der Du gemeinsam mit den »17 Hippies« unbedingt einmal spielen möchtest ?

 

Das »Hollywood Bowl« ist ein Amphitheater in Los Angeles, in dem 1964 und 1965 die Beatles aufgetreten sind. Diesen legendären Sehnsuchtsort müssen wir unbedingt noch erobern.

 

Interview: Mathias Rätsch, Foto: Schmidt/Schliebener, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 9, 2019

 

© Schmidt/Schliebener
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