PARZELLENKULTUR IN FINDORFF


Kleingärten sind wie alte Streuobstwiesen.

Rike Fischer ist Grafik-Designerin, Dozentin und Expertin für Wildblumen. Sie setzt sich seit Jahren für »urban gardening« und Bürgerbeteiligung ein – auch als Mitinitiatorin des »Findorffer Pflanzfestes«. Mit der Initiative »Bremen im Wandel« entwickelt sie Ideen für ein nachhaltiges Leben in der Stadt. Mehr unter www.bremenimwandel.wordpress.com

Kirsten Tiedeman ist freie Historikerin und Autorin. In ihrer jüngsten Forschung untersuchte sie das Wohnen auf der Parzelle in Kleingartengebieten zwischen 1944 und 2002 – Stichwort: »Kaisenhäuser« als Krisenmanagement und Stadtentwicklung von unten und als eine Do-it-yourself Baukultur. Daraus ist das wunderbare Buch »Mehr als ein Dach über dem Kopf«entstanden, das unbedingt lesenswert ist. Außerdem betreibt sie den Blog »Gärtnern in Bremen«, auf dem Tiedemann Fotos, Ereignisse und Einschätzungen zu aktuellen Themen der Gartenszene gibt: www.kirstentiedemann.wordpress.com

 


Rike Fischer, Sie sind seit Jahren engagiert für die Natur und Umwelt und selbst im Garten sehr aktiv. Wie wichtig sind Kleingärten für ein gesundes Leben  ?

 

Wie Parks und Grünflächen sind sie die »grüne erfrischende Lunge« Bremens. Ein Kleingarten bietet als Idyll Erdung, Ausgleich zum Stadtleben und den Austausch mit der Nachbarschaft. Obst, Gemüse und essbare Wildkräuter: Mit der Ernte aus dem eigenen Garten kann man sich gesund und günstig ernähren. Es ist auch ein idealer Raum, um Wissen auszutauschen, das uns stark und unabhängiger macht – etwa von den Lebensmittelkonzernen. Kleingärten sind ökologische Nischen in der Großstadt und tragen auch enorm zur Erhaltung der Artenvielfalt bei. Sie sind wie alte Streuobstwiesen: Die Obstbäume bieten viel Lebensraum für Vögel & Co. 

 

Gärtnern in der Stadt, neudeutsch »urban gardening«, liegt voll im Trend. Initiativen wie das Findorffer Pflanzfest in der Münchener Straße sind Beispiele dafür. Woran liegt das ? Gibt es auch einen Trend zum Kleingarten ?

 

Spießig war gestern. Heute erkennen immer mehr Menschen, welche Vorteile der Kleingarten hat; in der Stadt so nah vor der Haustür. Es macht glücklich, eigene Vorstellungen wachsen und gedeihen zu sehen. Nach der Gartenarbeit Bienengesumm und Vogelgezwitscher in der Abendsonne zu genießen: Das finde ich einfach herrlich !

 

Die Zukunft vieler Kleingartenvereine ist schwierig. Oft gibt es Nachwuchsprobleme. Braucht es neue Konzepte, um das Gärtnern wieder attraktiver zu machen ?

 

In der Präambel der Kleingartensatzung steht, dass »Umwelt« und »Miteinander« im Fokus stehen – anstatt festzuhalten an überholten Klischees von den »Gartenvereinsmeiern«. Neue Ideen und Ansätze sind gefordert: Pachtgemeinschaften können sich intern zusammenschließen, da vielen Menschen die Arbeit an einer Parzelle allein zu umfangreich ist. Die Politik sollte klar sagen, was mit den Vereinsflächen zukünftig geschehen soll, damit Interessenten, die eine Parzelle übernehmen wollen, Sicherheit für deren Bestand und Erhalt haben. Ehrenamtliche Arbeit braucht einen Imagewechsel – nach dem Motto: »Verantwortung ist geil !«. So bekommen wir junge Menschen in die Vereinsarbeit. Wichtig ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem Landesverband der Bremer Gartenfreunde e. V., den Kleingartenvereinen und natürlich den KleingärtnerInnen.

 

Die »Tafelobstgarten-Initiative des BUND-Bremen« nutzt in Findorff zwei Parzellen zum regionalen Obst- und Gemüseanbau. Gibt es mehr derartige Ansätze in Bremen ? 

 

Es gibt Kinder- und Schulgärten, den internationalen Garten, den Garten vom Martinshof, Streuobstwiesen ... Viele gute Aktivitäten sind vorhanden; die aber oftmals abhängig von dem Engagement und den Kenntnissen der »Gartenpioniere« sind. Davon brauchen wir unbedingt mehr.

 


Gefordert sind also verlässliche Sicherheit und Schutz für neue NutzerInnen über lange Zeit.

 

Kirsten Tiedemann, Sie befassen sich seit vielen Jahren intensiv mit den Bremer Kleingärten und besonders mit der Geschichte der »Bremer Kaisenhäuser«. Welche Rolle spielen Kaisenhäuser und das Wohnen im Kleingarten heute noch ?

 

Seit 2015 dürfen intakte Kaisenhäuser auch nach Ablauf der Wohnberechtigung als Gartenhäuser weitergenutzt werden.Das ist erfreulich. Viele dieser nach dem Do-it-yourself-Prinzip gebauten Häuser bereichern die Bremer Parzellengebiete sehr. Sie sind zugleich fast alle auch gebaute Zeugnisse der Bremer Nachkriegsgeschichte – und damit für mich auch aus Sicht einer Historikerin sehr interessant.

 

In einigen Kleingartengebieten stehen zunehmend Gartenhäuser leer und Parzellen verwahrlosen. Was sind die Gründe ?

 

Für die heutigen Leerstände gibt es ein Bündel an Ursachen. Bis vor kurzer Zeit durften leerstehende Kaisenhäuser nicht länger genutzt werden und sollten abgerissen werden. Die Stadt kam dieser Selbstverpflichtung aber nur sehr schleppend bis gar nicht nach. Die Natur schlug zurück: Die leerstehenden Parzellen sind dann natürlich schnell zugewachsen. Der erste Grund ist: Parzellen mit nicht intakten Grundstücken und Häusern sind nicht nachgefragt. Die zweite Ursache: Wenn ein solches Grundstück geräumt und planiert wird, ist es bestenfalls noch eine grüne Wiese, aber kein Garten mehr. Es kostet viel Geld, Zeit und Mühe aus diesen scheinbar unattraktiven Flächen wieder eine schöne Parzelle zu machen. Aber es geht natürlich ! Meine Empfehlung an die Stadt Bremen oder den Landesverband der Bremer Gartenfreunde: Gebt denen, die sich interessieren und auch KleingärtnerInnen werden wollen, einfach zinsgünstige oder zinslose Laubendarlehen ! Damit könnten auch Menschen, die nur wenig Geld haben, auf dem geräumten Grundstück wieder eine Laube bauen, für die übrigens bis zu 24 qm Grundfläche zulässig sind. Dadurch könnte man die Attraktivität für »leere« Grundstücke und die Motivation auch für jüngere Generationen, sich diese wieder nutzbar zu machen, steigern. Fast ein Viertel der BremerInnen ist arm: Wer nur eine kleine Wohnung hat und sich keinen Urlaub leisten kann – für den ist ein Kleingarten mit 300 qm ein toller Ausgleich.

 

Nach dem »Aus« für die Kaisenhäuser hat Bremen den harten Kurs gegenüber »Kaisenhaus-Bewohnern« etwas gelockert. Wenn jemand wegzieht oder stirbt, wird nicht mehr abgerissen: Was ist der richtige Weg im Umgang mit Kaisenhäusern ?

 

Um die dauerhafte Nutzung der Häuser zu sichern, wäre es wichtig, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, für die Menschen, die in Eigeninitiative ein solches kleines Haus renovieren und dauerhaft als Gartenhaus nutzen wollen. Das wäre dann eine echte »Win-Win-Situation« für Vereine und neue KleingärtnerInnen und würde Leerstände verringern. Gefordert sind also verlässliche Sicherheit und Schutz für neue NutzerInnen über lange Zeit.

 

Derzeit wird in Bremen der Kleingartenplan 2025 aufgestellt. Welche Erwartungen haben Sie an die Politik im Hinblick auf die Kleingartenentwicklung ?

 

Meine Erwartungen gehen in drei Richtungen. Zuerst: Verbindliche, langfristige Regelungen für den Erhalt intakter Kaisenhäuser sind notwendig – damit die Menschen wissen, dass sich ihr Engagement auch lohnt und wertgeschätzt wird. Zweitens: Maßnahmen, mit denen die Substanz der Häuser erhalten werden kann, sollten zugelassen werden. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass man den Dachstuhl nicht erneuern darf. Kaisenhäuser, die tatsächlich nicht mehr zu retten sind, müssen – allerdings auf Kosten der Stadt – abgerissen werden. Und drittens: Die Kosten von Begleitgrün hat weiterhin die Stadt tragen. Im letzten Wahlkampf wurde von der Politik noch hoch und heilig versprochen: Die Pacht wird nicht erhöht. Jetzt schlägt man dem Landesverband ernsthaft vor: Ihr könnt ja die Nebenkosten einfach auf die Pacht aufschlagen. Die Kosten für Begleitgrün sollen also auf die KleingärtnerInnen umgewälzt werden. Die 60 € mehr treffen vielfach sozial schwache Menschen. Für die ist das viel Geld. Das sollte die Politik eigentlich wissen. Diese durchschaubaren Tricksereien verbieten sich.

 

Interview: Ulf Jacob, Fotos: Kerstin RolfesInterview erschienen in Ausgabe Nr. 2, 2017

 

© Kerstin Rolfes
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