TINA POORT LEITET DAS JUGENDZENTRUM FINDORFF


Die Kids können bei uns ihre Freizeit verbringen .

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Tina Poort leitet seit 2016 das Jugendzentrum Findorff in der Neukirchstraße 23 a. Die Sozialpädagogin und ihr Team haben immer ein offenes Ohr für ihre BesucherInnen. Neben ihrer Tätigkeit im »Freizi« engagiert sie sich für die politische Beteiligung von Jugendlichen. www.jugendzentrum-findorff.de

 


ina Poort, Sie haben vor anderthalb Jahren die Leitung des Jugendzentrums in Findorff übernommen. Wie ist bis jetzt ihr Eindruck von der Jugendarbeit in Findorff ? Wird hier viel gemacht ? Lässt sich hier viel bewegen ?

 

Ich meine, Jugendarbeit in Findorff findet bei uns auf einem sehr hohen Niveau statt. Alle aus dem Stadtteil ziehen an einem Strang – also Beirat, AnwohnerInnen, Schule, Jugendzentrum und natürlich unser Träger, das »Deutsche Rote Kreuz«. Mit den wenigen Mitteln, die wir für die offene Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung haben, wird hier sehr viel auf die Beine gestellt. Dadurch, dass wir hier immer große Jugendbeteiligungsrunden stattfinden lassen, wo dann zwischen 50 und 80 Jugendliche einmal im Jahr stellvertretend für alle anderen Jugendlichen befragt werden, wissen wir sehr gut, was ihnen eigentlich wichtig ist – und wir versuchen dann basierend auf den Ergebnissen der Jugendbeteiligungsrunden das Beste herauszuholen.

 

Welche Funktion sollte Jugendarbeit im Stadtteil erfüllen und warum ist sie so wichtig ?

 

Die offene Kinder- und Jugendarbeit soll den Jugendlichen die Möglichkeit geben sich in einem angstfreien Raum auszuprobieren und ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Sie sollen eine Begleitung für den Übergang zwischen Kindheit und Erwachsenenleben haben. Diese Begleitung muss manchmal eine andere sein als die durch das Elternhaus. Jugendarbeit ist auch dazu da, damit Kinder und Jugendliche zu demokratischen TeilnehmerInnen dieser Gesellschaft werden. Diese Arbeit machen wir hier, indem wir verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten anbieten. Zudem betreiben wir nonformale Bildungsarbeit. Das heißt, wir erziehen nicht, sondern wir zeigen Möglichkeiten auf und wir bieten Chancen. Vieles können wir hier anders umsetzen als in der Schule, weil wir an keinen Lehrplan gebunden sind. Wenn zum Beispiel Jugendliche gerne mehr über den Nationalsozialismus in Bremen wissen wollen, dann können wir mit ihnen zum Thema arbeiten. Wir können zum »Bunker Valentin« fahren und vor Ort einen Projekttag machen. Aber  Jugendarbeit hat natürlich auch die Aufgabe in verschiedenen Lebenslagen zu unterstützen. Wir können nicht jedes Problem auffangen, aber wir nehmen Sachen wahr, wir sprechen Sachen an, wir vermitteln. Es gibt Elternhäuser, wo nicht alles toll läuft, wo die Eltern psychische Probleme haben oder Drogen im Spiel sind. Genauso gibt es Eltern, die gar keine Zeit für ihre Kinder haben, weil sie zu viel arbeiten. Es ist dann unsere Aufgabe zu schauen, wie wir das jeweilige Kind unterstützen können. Unsere BesucherInnen kommen aus allen sozialen Schichten – also von Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern bis hin zu Akademikerkindern. Bei uns ist alles bunt gemischt und das ist toll und auch das Besondere – das ist spannendes Arbeiten.

 

Hat sich die Arbeit mit Jugendlichen über die Jahre verändert ? Gibt es Dinge, die heute ganz anders laufen als vor ein paar Jahren ? Sind die Jugendlichen von heute anders ?

 

In den zehn Jahren, in denen ich in der offenen Kinder- und Jugendarbeit arbeite, hat sich mit der Einführung der Ganztagsschule ganz viel verändert. Dadurch, dass die Jugendlichen jetzt länger in der Schule sind, haben sie viel weniger Freizeit. Die kommen fast jeden Tag erst nach 15:00 Uhr aus der Schule. Dann haben sie im Schnitt zweimal die Woche Sporttraining, dazu kommt oftmals noch Nachhilfe und sie haben nur einen Nachmittag in der Woche wirklich freie Zeit, die sie so verbringen können, wie sie wollen. Diese Veränderung merken wir auch: Wenn die Kids direkt nach der Schule zu uns kommen, dann ist das Erste, was sie machen erstmal gar nichts zu machen. Weil sie einfach völlig kaputt sind. Früher war das anders. Da sind sie um 13:00 Uhr aus der Schule gekommen, haben Mittag gegessen, sich ein bisschen ausgeruht und hatten dann Freizeit. Sie hatten immer noch Fußballtraining oder Nachhilfe, aber sie hatten im Großen und Ganzen mehr Zeit.

 

Welche Angebote gibt es im »Freizi« für die Jugendlichen und welche davon werden besonders gut angenommen ?

 

Unser Kernangebot ist die offene Tür; das heißt, wir sind vor Ort da und die Kids können bei uns ihre Freizeit verbringen. Sie können spielen. Wenn sie ein Referat halten müssen, können sie Fragen stellen. Aber vor allem können sie hier einfach sein. Daraus entstehen verschiedene Projekte wie beispielsweise eine Mädchen- und eine Jungengruppe, in denen geschlechtsspezifisch Themen gesetzt werden, die für die entsprechende Altersgruppe gerade relevant sind. Außerdem haben wir verschiedene Sportangebote für die Jugendlichen. Es gibt Hip-Hop-Tanz für Mädchen. Es gibt ein Graffiti-Angebot, bei dem die Jugendlichen unter Anleitung sprühen können. Wir spielen ganz viel; aber nicht nur. Wir bieten konkrete Unterstützung beim Übergang zwischen Schule und Beruf oder Schule und Studium an. Wir stellen Räume zur Verfügung, die auch ohne uns genutzt werden können. Wir haben einen Proberaum, einen Bewegungsraum, einen Medienraum und einen Mädchenraum. Außerdem verreisen wir mit den Jugendlichen zwei- bis dreimal im Jahr. Diese Reisen beinhalten Sport- und Freizeitangebote und nebenbei versuchen wir Gruppenprozesse in Gang zu setzen. In den Sommerferien fahren wir für eine Woche nach Wangerooge. Mit den älteren Jugendlichen fahren wir alle zwei Jahre u. a. nach Berlin, besuchen natürlich das Reichstagsgebäude und das Holocaust-Mahnmal – und beschäftigen uns anschaulich mit der Geschichte der Stadt. Wir haben auch ganz normale Ferienangebote. In den Sommerferien fahren wir in den »Heidepark Soltau« oder gehen gemeinsam schwimmen, machen Fahrradtouren, Sportturniere oder basteln. Kurz gesagt: Wir versuchen, den Bedürfnissen der Jugendlichen gerecht zu werden.

 


Jugendliche sind im Stadtbild kaum vorhanden.

 

Zu Ihnen kommen sogar Jugendliche aus anderen Stadtteilen. Warum ist das Findorffer »Freizi« so beliebt  ?

 

Weil wir einfach unglaublich nett sind (lacht). Ich glaube, wir haben eines der größten oder sogar das größte Haus in Bremen-Stadt. Wir bieten einfach ganz viele Möglichkeiten. Wir haben dieses tolle Außengelände mit einer sehr beliebten Basketballanlage. Wir liegen in Bremen sehr zentral. Wir sind dicht am Bahnhof gelegen, an Mitte, an Schwachhausen, Walle und Gröpelingen. Es spielt auch eine Rolle, dass die Jugendlichen, die in Findorff zur Schule gehen, natürlich auch ihre Freizeit hier verbringen, weil auch ihre FreundInnen hier sind.

 

Auch viele Jugendliche mit Migrationshintergrund besuchen das Jugendzentrum. Leistet das »Freizi« einen wichtigen Beitrag zur Integration ?

 

Ja, natürlich. Zu uns kommen auch Jugendliche, die noch kein Jahr in Deutschland sind. Andere sind schon in der dritten oder vierten Generation hier – und genauso viele Jugendliche haben gar keinen Migrationshintergrund. Zu uns kommen sowohl Jugendliche mit als auch ohne Behinderung und genauso kommen Jugendliche, die eventuell eine Fluchterfahrung haben. Diese Jugendlichen sind auch diejenigen, die hier im Stadtteil wohnen. Und sie nutzen natürlich auch die Angebote hier. Wir haben kein spezielles Angebot für geflüchtete Jugendliche, sondern wir sehen unsere Aufgabe eher darin zu vermitteln, zu verbinden und zu vernetzen. Was an unserem Haus besonders ist: Es gibt drei Angebote, die bei uns angesiedelt sind, die wir aber nicht selbst betreiben. Das eine ist ein Angebot für Familien mit Fluchthintergrund, die einmal die Woche gemeinsam mit Ehrenamtlichen kochen. Es gibt eine Fahrradwerkstatt für Geflüchtete, die auch ehrenamtlich betrieben wird. Wir stellen Räume zu Verfügung und schreiben ab und zu mal einen Antrag, um Geld zu bekommen. Außerdem gibt es das Projekt »AVA«. »AVA« heißt übrigens »Ankommen - Verwurzeln - Auf eigenen Beinen stehen«. In diesem Projekt wird mit Jugendlichen und jungen Menschen mit Fluchterfahrung gearbeitet, die so Unterstützung bekommen können. Diese Angebote heben unser Haus in punkto Integration besonders hervor. Die Kinder und Jugendlichen, die daran teilnehmen, sehen, dass sie hier willkommen sind. Aufgrund der positiven Erfahrungen kommen sie vielleicht in Zukunft öfter zu uns. Genauso sitzen die Jugendlichen, die sonst immer kommen, bei den gemeinsamen Essen mit den Geflüchteten am Tisch. Für sie ist es auch toll, eine andere Kultur kennenzulernen. Letztendlich verbringen einfach alle Jugendlichen ihre Freizeit bei uns gemeinsam.

 

Ist Findorff als Stadtteil gut auf Jugendliche eingestellt ?

 

Vieles könnte natürlich noch besser sein. Bei der letzten Jugendbeteiligungsrunde stellte sich zum Beispiel heraus, dass sich die Jugendlichen auf Spielplätzen auch Spielgeräte wünschen würden, die für ihre Altersgruppe interessant sind – und nicht nur für die ganz Kleinen. Früher gab es am Torfhafen eine Drehscheibe, die hauptsächlich von Jugendlichen und älteren Kindern genutzt wurde. Die gibt es mittlerweile nicht mehr. Die Menschen aus Findorff sind Jugendlichen gegenüber überwiegend sehr positiv eingestellt, aber wenn man sich umschaut, stellt man fest, dass Jugendliche im Stadtbild eigentlich kaum vorhanden sind. Die hätten einfach gerne einen Ort, wo sie sich treffen können, ohne dass Erwachsene dabei sind. Es gibt keinen Unterstand auf dem Spielplatz, wo nicht nur Dreijährige Platz haben sondern auch 16-Jährige. Jugendliche sind im öffentlichen Raum teilweise auch gar nicht gern gesehen, weil viele mit dem Vorurteil kämpfen, dass alle Jugendlichen frech sind, Dreck machen, rauchen und Alkohol trinken. Natürlich gibt es Jugendliche, die rauchen und Alkohol trinken, aber eben längst nicht alle. Wenn Jugendliche sich auf einem Spielplatz aufhalten, heißt das nicht, dass am nächsten Morgen überall Zigarettenkippen und Bierflaschen herum liegen; ebenso wenig wie hier im »Freizi«. Natürlich liegt mal ein Lollistiel auf dem Boden, aber insgesamt sehen unsere Räume super aus. Die Jugendlichen werden bei uns an der Raumgestaltung beteiligt, auch wenn wir nicht alles eins zu eins umsetzen können. Warum sollten sich die Jugendlichen auch ihre Orte kaputt machen ?

 

Wie werden Möglichkeiten zur politischen Teilhabe wie der Jugendbeirat Findorff von den Jugendlichen genutzt ?

 

In dieser Legislaturperiode ist der Jugendbeirat nicht zustande gekommen. Aus dem Stadtteil haben sich nicht genügend Jugendliche bereit erklärt sich wählen zu lassen. Deshalb konnten wir als Wahlausschuss natürlich auch keine Wahl abhalten. Die Jugendlichen schätzen die Möglichkeit sich einbringen zu können und auch, dass der Beirat sie so großzügig mit finanziellen Mitteln ausstattet. Aber momentan ist das nicht die Partizipationsform, die sie anspricht. Das ist in Bremen nicht nur bei uns in Findorff so, sondern auch in vielen anderen Stadtteilen. Die Jugendlichen von heute sind zeitlich vielmehr auf die Schule konzentriert, die einen großen Raum einnimmt. Es ist aber auch das pure Angebot an Möglichkeiten, wie man heute als junger Mensch seine Freizeit verbringen kann. Beteiligung bedeutet nicht immer gleich unbedingt, sich einmal im Monat zu treffen. Beteiligung kann es auch im Kleinen geben. Ein Beispiel: Die Jugendlichen wünschen sich, dass die Basketballanlage erneuert wird. Und jetzt gibt es eine Gruppe direkt aus dem »Freizi«, die sich dafür einsetzt. Aber das ist ein einzelnes Projekt. Nachdem es abgeschlossen ist, haben diese Jugendlichen vielleicht auch keine Lust mehr, sich regelmäßig in einem Jugendbeirat zu engagieren. Es gibt dennoch viele weitere Möglichkeiten für Jugendliche sich einzubringen. Und ich glaube, die Jugendlichen haben momentan keinen Leidensdruck. Sie wissen, dass sie hier im Stadtteil gehört werden. Auch das ist ein schönes Ergebnis. 

 

Welches sind für Sie die größten Probleme und Hürden, die zu bewältigen sind, wenn man Jugendarbeit leistet ?

 

Eine ganz große Hürde ist das Geld. Jugendarbeit ist finanziell einfach unglaublich schlecht ausgestattet. Wir wissen alle, wie schlecht die Haushaltslage in Bremen ist. Außerdem gibt es ja auch noch Kindergärten und Schulen. Es ist klar, dass an den Jugendzentren zuerst gespart wird. Geld bedeutet aber auch Personal. Je mehr Personal da ist, desto bessere Arbeit können wir natürlich leisten. Eine weitere Hürde ist, dass wir sehr viele Anträge schreiben, weil wir immer schauen müssen, woher wir Geld bekommen. Das Geld von der Stadt wird voraussichtlich eher weniger als mehr werden. Also müssen wir andere Quellen auftun – und uns zum Beispiel an Stiftungen wenden. Ein weiteres Problem ist, dass viele nach wie vor denken, offene Kinder- und Jugendarbeit wäre gleichbedeutend mit Benachteiligtenarbeit. Das allerdings ist nicht richtig. Zu uns kommen Jugendliche aus unterschiedlichsten Verhältnissen. Und nur weil Kinder aus einem geordneten Elternhaus kommen, heißt das nicht, dass bei denen alles perfekt ist. Genauso bringen Kinder, die aus einem sehr benachteiligten Elternhaus kommen, nicht automatisch Probleme mit sich.  Letztendlich sind es zumeist finanzielle Hürden, mit denen die Jugendarbeit zu kämpfen hat.

 

Wie kommt es eigentlich, dass das »Deutsche Rote Kreuz« Träger des Jugendzentrums ist ?

 

Früher wurden die meisten Jugendeinrichtungen von der Stadt Bremen betrieben, also vom »Amt für soziale Dienste«. Vor ungefähr etwas über zehn Jahren wurden die Einrichtungen dann entkommunalisiert und an freie Träger gegeben. Die Leute, die in den Einrichtungen arbeiten, sind nicht mehr bei der Stadt angestellt sondern bei den freien Trägern. Der freie Träger des Jugendzentrums ist seit 2007 das »Deutsche Rote Kreuz«. Wir waren auch das letzte Jugendzentrum, das entkommunalisiert wurde. Typisch Findorff, Sonderrolle. Seit der Entkommunalisierung läuft es so ab: Wir stellen als Jugendeinrichtung einen Antrag über das Gesamtbudget an die Stadt Bremen, also an unser Sozialzentrum. Darüber wird im Controlling Ausschuss beschieden, der für die Vergabemittel der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Stadtteil zuständig ist. Es wird geprüft, ob dieser Antrag genehmigt werden kann und wieviel Geld dem Stadtteil eigentlich zusteht. Das Jugendzentrum hat natürlich feste Ausgaben. Es gibt feste Personal- und Energiekosten, die gedeckt werden müssen. Dazu kommen die Programmgelder für Angebote wie einen Ausflug ins Schwimmbad. Aus diesen Posten ergibt sich ein fester Betrag. Das Geld von der Stadt Bremen reicht dafür nicht aus. Wir versuchen daher so viel wie möglich über Anträge und Drittmittel zu bekommen, den Rest zahlt das »Deutsche Rote Kreuz« dazu. Das DRK verdient mit der Jugendarbeit kein Geld, sondern ist ein Wohlfahrtsverband. Viele denken immer an Rettungswagen und Krankenhäuser, aber das DRK macht total viel im sozialen Bereich.

 

Was wünschen Sie sich von den FindorfferInnen für die Jugendlichen im Stadtteil ?

 

Wenn es nach den Jugendlichen ginge, hätten wir hier eine zweite »Waterfront«, ein Schwimmbad und eine Eislaufhalle im Stadtteil. Aber ich würde mir einfach noch mehr Offenheit und Toleranz gegenüber Jugendlichen wünschen. Es sollte zum Beispiel niemand komisch gucken, wenn Jugendliche im Sommer am Torfhafen Zeit verbringen, sondern sie sollten dort genauso gern gesehen sein wie andere Leute. Das wünsche ich mir.

 

Interview: Leona Ilgner, Foto: Kerstin Rolfes, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 6, 2018

 

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© Kerstin Rolfes