Stefan Brockmann über die Zukunft des einzelhandels


Eine eindeutige Positionierung ist wichtig.

Stefan Brockmann hat über 20 Jahre Erfahrung im Einzelhandel. Er war sowohl Geschäftsleiter von »Karstadt« in Bremen als auch von »Dodenhof«. 2012 machte er sich sich selbstständig als Geschäftsfüher von »BoConcept« in der City. »BoConcept« ist die größte Einzelhandelskette der dänischen Möbelbranche mit 330 Stores in ganz Europa. Stefan Brockmann ist im Plenum der Handelskammer Bremen und auch Vorsitzender im Einzelhandelsausschuss. Weitere Infos unter www.boconcept.de

 


Herr Brockmann, Sie sind Experte für den Einzelhandel und engagieren sich in der Handelskammer Bremen. Wir sind in der Vorweihnachtszeit. Jetzt wird eingekauft und ein Großteil des Jahresumsatzes gemacht. KundInnen kaufen im eigenen Stadtteil, in der City, in Einkaufszentren oder bestellen im Internet. Wie sehen Sie den stationären Einzelhandel bei uns in Findorff aufgestellt ?

 

Findorff gehört  im Wettbewerb mit anderen Stadtteilzentren zu den Standorten, die gute Chancen für die Zukunft haben, auch wenn es natürlich noch ungenutzte Potentiale gibt. Es gibt in Bremen viele Stadtteile, die deutlich schlechter aufgestellt sind.

 

Nach einer Prognose des Handelverbandes Deutschland (HDI) könnten 30 Prozent der lokalen Ladengeschäfte bis zum Jahr  2020 verschwunden sein. Was kann der Handel in Findorff unternehmen, damit es bei uns soweit nicht kommen muss ? 

 

Man sollte das Internet nicht nur als Bedrohung sehen. Es ist ein weiterer Vertriebskanal, der neue Chancen bietet – so wie es früher auch den Versandhandel als Distanzhandel gegeben hat. Der Internethandel hat heute einen etwas größeren Anteil als vor 30 Jahren der klassische Versandhandel, aber es gibt keine große Verschiebung. Ich würde EinzelhändlerInnen empfehlen, den Handel im Internet auch als eine Chance zu sehen, sich weitere Möglichkeiten für neue Wege zu potentiellen KundInnen zu eröffnen. Die vom Handelsverband prognostizierten 30 Prozent sind vorrangig bezogen auf die Situation in kleinen und mittelgroßen Städten bis 30.000 EinwohnerInnen. Dort gibt es wesentlich größere Herausforderungen im Vergleich zu den Stadtteilzentren in den großen Städten. In die großen Städte ziehen ja immer mehr Menschen, um dort zu wohnen und in »ihrem Stadtteil« dann natürlich auch einzukaufen.

 

Wie wichtig sind in diesem Zusammenhang in den Bremer Stadtteilen die einzelnen Werbegemeinschaften ?

 

Ich halte es für extrem wichtig, das sich HändlerInnen vor Ort in Werbegemeinschaften zusammenschließen. Der gemeinsame Auftritt macht stark und nur eine gemeinsame Vermarktung des Standortes schafft vor Ort auch die notwendigen Frequenzen in der jeweiligen Straße oder in den jeweiligen Bereichen. Das betrifft sowohl den innerstädtischen Handel, aber natürlich auch die Stadtteilzentren und sogar die OnlinehändlerInnen, die sich mittlerweile ebenfalls über verschiedene Plattformen zusammenschließen. Kooperationen sind in jedem Fall ein Modell, das unbedingt wünschenswert und vorteilhaft ist.

 

Im Vergleich zu früheren Jahren stagnieren oder sinken die Mitgliederzahlen vieler Werbegemeinschaften. Wie kann es gelingen, potentielle Mitglieder neu zu gewinnen ? 

 

Dafür gibt es kein Patentrezept. Grundsätzlich muss die Werbegemeinschaft für alle Mitglieder ein Angebot schaffen, das überzeugt und für das sich eine  Mitgliedschaft lohnt. 

 

Welchen Nutzen sollte eine Werbegemeinschaftt denn ganz konkret ihren Mitgliedern bieten ?

 

Ein wesentlicher Nutzen, den sie bieten muss, ist die gemeinsame Vermarktung des Standortes. KundInnen entscheiden sich für Einkäufe in der Regel zwischen Einkaufszentren oder dem Angebot im Stadtteil – also sollten die Vorteile des Stadtteils unbedingt herausgestellt werden. Werbegemeinschaften sollten aber auch ein Sprachrohr gegenüber den Ortsbeiräten oder der Politik allgemein sein. Sie können auch Probleme lösen – zum Beispiel bei Maßnahmen, die den öffentlichen Raum betreffen. Man kann Feste und Events organisieren und dadurch eine unmittelbare Nähe zu den KundInnen herstellen. Überall wo sich Gemeinsamkeiten ergeben, bis hin zur günstigeren Beschaffung als Einkaufsgemeinschaft, ergeben sich viele Vorteile für die organisierten HändlerInnen.  

 

Stadtteilfeste, Nikolauslaufen und Weihnachtsbeleuchtung sind wichtig für den Stadtteil – Aufgaben, die der Verein der Findorffer Geschäftsleute seit Jahren freiwillig übernimmt. Steigern solche Maßnahmen eigentlich auch den Umsatz ?

 

Kurzfristg betrachtet eher nicht, wobei das vom Warenangebot abhängt. Wer Süßwaren wie Schokolade anbietet, der hat vom Nikolauslaufen sicher mehr als ein Textilhändler. Es wird aber vielleicht negativ wahrgenommen, wenn man bei solchen Aktionen nicht dabei ist. Insofern ist »dabei sein« eher eine Pflicht.

 

Wie wichtig ist eine eindeutige Positionierung für die Geschäftsleute im Stadtteil ? 

 

Eine eindeutige Positionierung ist für Werbegemeinschaften und für EinzelhändlerInnen heute extrem wichtig. Man muss unterscheidbar aufgestellt sein, sollte ein eigenes Profil haben, Kundennähe zeigen und KundInnen eine klare Antwort geben: Warum unbedingt bei mir und warum nicht woanders ?

 

Der Handel spielt sich bei uns zuerst in der Hemmstraße und in der Admiralstraße ab. Wie wichtig ist die Kommunikation von Angeboten im ganzen Stadtteil, der ja weitaus größer ist ? Sollte man also auch über Findorff hinaus werben ?

 

Der Findorffmarkt ist ein sehr gutes Beispiel. Der ist als eine Bremer »Institution« einfach unverwechselbar, im Angebot sehr gut aufgestellt und schafft es über Findorff hinaus KundInnen auch aus anderen Stadtteilen anzuziehen. Grundsätzlich fahren Menschen um so weiter, je höher Nutzen und Vorteil sind. Ich glaube aber nicht, das sich KundInnen aus Oberneuland expliziet nach Findorff bewegen, um dort einzukaufen. In diesem Fall ist der Angebotsvorteil einfach nicht groß genug.

 


Findorff ist ein Stadtteil, der wenig Sorgen bereitet.

 

Manche Mitglieder in Werbegemeinschaften haben zu große Erwartungen, was die Werbegemeinschaft für einen vergleichbar überschaubaren Jahresbeitrag für sie leisten soll. Wie wichtig sind das Engagement und die Beteiligung aller Mitglieder ?

 

Es beginnt erstmal mit dem Respekt für die ehrenamtlich tätigen Menschen, die viel Zeit und Freizeit investieren, um etwas für sich und die Gemeinschaft zu erreichen. Je höher die Quote des Engagements aller ist – am besten 100 Prozent – umso stärker ist auch ein Vorstand, der dann viel mehr durchsetzen kann. Umso größer sind dann zugleich die Geldmittel, die zur Verfügung stehen. Letztendlich lebt auch eine Werbegemeinschaft selbstverständlich vom Mitmachen: Wenn jeder die Einsicht teilt, das gemeinsam mehr bringt als allein, dann beantwortet sich Ihre Frage von selbst.

 

Unternehmer kommt von »unternehmen« und nicht von »unterlassen«. Sonst hieße der Unternehmer ja Unterlasser. Etwas unternehmen heißt ja auch, sich veränderten Marktbedingungen immer wieder neu anzupassen. Ist es eigentlich für alle EinzelhändlerInnen richtig und wichtig, sich neben dem stationären Verkauf auch einen Onlineshop aufzubauen? Nehmen wir die Lebensmittelbranche: Ist der Vertrieb online zum Beispiel für die Produkte eines Feinkosthändlers sinnvoll ?  

 

Diese Frage kann man pauschal nicht beantworten. Es gibt HändlerInnen, die das für sich positiv beantwortet haben, gute Shops betreiben und erfolgreich sind. Auf der anderen Seite muss man sagen: Ein Onlineshop mit der notwendigen Logistik ist eine Investition in die Zukunft – und man muss, wenn man investiert, für sich die eigenen Vorteile sehen. Ich würde für Stadtteilgemeinschaften empfehlen, dass die übergeordnete Vermarktung über die Werbegemeinschaft erfolgt und dass sich jeder Einzelne auch mit einer guten eigenen Seite in einem ansprechenden Portal der Werbegemeinschaft präsentiert. Ob die eigene, individuelle Internetseite ein Onlineshop sein muss, wage ich zu bezweifeln. Aber eine Bestellung per E-Mail sollte heute jedes Geschäft annehmen können. »Amazon« wagt sich gerade an Lebensmittel, aber »Amazon« wird hier nicht der Innovationsmotor sein, weil die KundInnen überfordert sein werden. Wenn man allerdings bestimmte Nischen mit Produkten besetzt, die nicht jeder hat, ist »grenzenloser« Onlinehandel sinnvoll und nahezu zwingend notwendig.

 

Zu »Shoppen im Internet« sagte mir eine Findorffer Geschäftsfrau, sie sei überzeugt, dass Bewegungen auch immer Gegenbewegungen in Gang setzen. Sie geht davon aus, dass die all die Frauen, die ständig die vielen Pakete hin und her schicken, irgendwann die Nase voll davon haben und sich sagen: Jetzt gehe ich los, finde genau das, was ich haben will, freue mich und gehe damit begeistert nach Hause. Gibt es Gegenbewegungen zum rasanten Wachstum des Onlinehandels ? 

 

Ich glaube nicht, das es Gegenbewegungen in dieser Form tatsächlich gibt. Stattdessen gibt es fortschreitende Entwicklungen im Einkaufsverhalten. Was ich wahrnehme, ist der sogenannte »hybride Verbraucher«, der für unterschiedliche Kaufmuster steht – also sowohl online als auch offline einkauft – und sich nach Lust, Laune, Wetter und Stimmung im Einkaufszentrum bewegt und am selben Tag abends online etwas bestellt. Oder der im Internet ein bestimmtes Produkt gesehen hat und dieses dann vor Ort in seinem Stadtteil kauft. Diese Bewegung sehe ich als klassische Gegenbewegung. Ich glaube allerdings nicht, das es zu einem Gegentrend und damit zu einem Abflachen des Handels im Internet kommt. Es gibt sogar Entwicklungen, dass verstärkt klassische Onlinehändler wie »Zalando« oder »müsli.de« sich auch stationär niederlassen. Zudem machen ein Großteil des Umsatzes im Internet ursprünglich stationäre HändlerInnen aus, die sich heute zugleich auch online bewegen.

 

Nicht nur durch den Internethandel, sondern auch durch die Konkurrenz auf der grünen Wiese wird heute viel Kaufkraft aus der Innenstadt abgezogen. Ist diese Wanderung von Kaufkraft zu Einkaufszentren im Bremer Umland in erster Linie problematisch für die City oder auch eine ernsthafte Konkurrenz für den Einzelhandel in Stadtteilzentren wie Findorff ?

 

Die größere Herausforderung besteht für die HändlerInnen in der City. Die Innenstadt muss letztendlich KundInnen aus allen Stadteilen und den Gemeinden im Umland gewinnen. Natürlich besteht diese Herausforderung auch für Stadtteile wie Findorff, aber die haben natürlich noch deutlich größere Chancen durch ihre Kundennähe eine intensive Kundenbindung zu erzeugen – also über die Identifikation mit dem Stadtteil den »Klebstoff« zu erzeugen, damit die KundInnen eben nicht in das Bremer Umland fahren und dort einkaufen.

 

Kann man als EinzelhändlerIn lokal vor Ort mit begrenzten finanziellen Mitteln den aktuellen Entwicklungen überhaupt etwas entgegensetzen ? Nicht jeder hat ja wie Sie eine starke und weltweit agiernde Einzelhandelskette wie »BoConcept« im Hintergrund, bei der vieles zentral geleistet wird. 

 

Klar, das steht außer Frage. Ein System wie das von »BoConcept« macht es leichter im Vergleich zum klassischen Einzelhandel. Aber es muss zwangsläufig nicht immer eine große Organisation dahinter stehen. Ich bin überzeugt: Wenn man zeitgemäß aufgestellt ist und das eigene Alleinstellungsmerkmal herausarbeitet, kann man auch heute gut am Markt bestehen. Ich muss zudem meine KundInnen verstehen und genau wissen, wie die ticken – dann hat man Erfolg. Dafür gibt es viele gute Beispiele.

 

Inwieweit unterstützt die Handelskammer Bremen, in der sich ja auch durchaus unterschiedliche Interessen bündeln, den lokalen Handel in den einzelnen Stadtteilzentren ?

 

Es gibt für uns zwei Ebenen: Wir verstehen uns als Dienstleister für unsere Mitglieder – die auch dafür ja ihren Beitrag zahlen. Die Kammer bietet eine Vielzahl an Kursen und Seminaren an, mit denen man sich weiterbilden kann – übrigens auch zum Thema »Digitalisierung«. Aber wir können natürlich nicht die »eierlegene Wollmilchsau« sein und allen Mitgliedern ganz individuell eine komplette Beratung und Servicepakete bieten. Allerdings hat die Handelskammer ein vitales Interesse, dass sich in Bremen gute Handelstrukturen bilden – auch aus Gründen der Stadtteilentwicklung. Findorff ist ein Stadtteil, der uns momentan wenig Sorgen bereitet. Es gibt andere Stadtteile, die uns mehr Sorgen machen, weil dort der stationäre Einzelhandel in einem deratig schnellen Tempo stirbt, dass es dort auch strukturell entscheidende Veränderungen gibt, die nicht gut sind. 

 

Gibt es Grenzen der Unterstützung; beispielsweise bezogen auf den teilweise rasanten Anstieg der Mietkosten für Einzelhandels- und Gewerbeflächen, die sich wahrscheinlich viele kleine HändlerInnen schon heute nicht mehr leisten können ? 

 

Wir beobachten, dass in 1a-plus-Lagen tendenziell die Mieten steigen, aber in Minuslagen, also den B-Lagen, die Mieten eher fallen. In einigen B-Lagen ist zu beobachten, das dort mit dem Vermieter verhandelt wird, um die Mieten zu senken. Es gibt dort auch durchaus Druck auf die VermieterInnen: Die müssen sich dann entscheiden, ob sie lieber günstiger vermieten oder ihre Gewerbeimmobilie zukünftig leerstehen lassen.

 

Zuletzt noch eine private Frage: Wo kaufen Sie persönlich dieses Jahr die Geschenke zu Weihnachten ein ?

 

Ich könnte jetzt sagen: ausschließlich bei »BoConcept«, aber das wäre natürlich nicht die ganze Wahrheit. Ich zähle mich auch zu den hybriden Käufern, kaufe meine Geschenke also sowohl offline als auch online. Wir haben zwei erwachsene Söhne, die sich Elektronisches wünschen, das ich über beide Kanäle einkaufe. Stationär kaufe ich vorwiegend in der Bremer City, denn der bin ich natürlich nicht nur durch den eigenen Standort verpflichtet. 

 

Interview: Mathias Rätsch, Foto: Kerstin RolfesInterview erschienen in Ausgabe Nr. 4, 2017

 

© Kerstin Rolfes
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