Jörg Lochmon wurde in Elmshorn geboren. Nach den ersten sechs Lebensmonaten zogen die Eltern mit ihm nach Bremen. Im Schlachthof ist Jörg Lochmon nach über 30 Jahren mittlerweile ein echtes »Kultururgestein«, der durch seine ruhige Art die verschiedenen Generationen respektvoll zusammenbringt. Er ist Fan von Werder Bremen. Die LieblingsmusikerInnen von Jörg sind Beatsteaks, Chumbawamba und Dendemann. Mehr Infos unter www.schlachthof-bremen.de
Jörg, was sind im Kulturzentrum Schlachthof e.V. Deine Aufgaben ?
Zusammen mit meiner Kollegin Bettina Geile bin ich zuständig für Programm und Booking für die Kesselhalle. Booking heißt, wir planen und organisieren Veranstaltungen, bei denen der Verein selbst Veranstalter ist. Abgesehen davon vermieten wir die Kesselhalle auch oft an externe VeranstalterInnen. Damit der Ablauf möglichst reibungslos ist, gibt es viel zu koordinieren und zu kommunizieren. Ich sorge dafür, dass alles läuft und alle Beteiligten zufrieden sind: die Bands, die BühnentechnikerInnen, die Tonleute, das Catering, die Tresenleute, die Tourleitung – und natürlich das Publikum. Ich freue mich immer, wenn alle sagen: Wir hatte eine geile Zeit !
Wie bist Du im Kulturzentrum Schlachthof gelandet ?
Ende der Achtzigerjahre bin ich innerhalb von Findorff in die Brandtstraße umgezogen. In der Schlachthofkneipe habe ich zufällig die damalige Finanzschefin des Vereins kennengelernt.Wir waren uns sofort sympathisch. Ich bin in die Vereinsarbeit reingerutscht; zuerst ehrenamtlich. Meine erste Stelle habe ich mit Anfang 30 im Jahr 1995 bekommen. Seitdem bin ich hier.
Was wolltest Du früher beruflich machen ?
Nach der höheren Handelsschule habe ich ein paar Jahre bei Kellogg‘s gejobbt. Eigentlich wollte ich nur etwas Geld verdienen – und anschließend in der Welt herumreisen. Irgendwie habe ich mich aber daran gewöhnt, Geld zu haben und den Absprung für die Weltreise verpasst. Zum Glück bin ich nach zwölf Jahren bei Kellogg’s dann beim Schlachthof gelandet. Diese Entscheidung habe ich nie bereut.
Eine Bekannte von mir hat bei Euch eine Ausbildung zur Veranstaltungstechnikerin gemacht. Seitdem weiß ich, dass ihr auch ein Ausbildungsbetrieb seid.
Ja, das ist richtig. Viele wissen vielleicht davon gar nicht. Seit 2003 beschäftigen wir zwei Bühnenmeister, die Fachkräfte für Veranstaltungstechnik ausbilden. Außerdem haben wir im Büro immer eine oder einen Auszubildenden im kaufmännischen Bereich. Das Ausbildungsangebot ist uns sehr wichtig. Mit Jüngeren zu arbeiten hält einen irgendwie auch jung. Wenn die Azubis soweit sind, übertragen wir ihnen die Verantwortung, eine Veranstaltung mal komplett von a bis z zu betreuen – ganz nach dem Motto: »Man wächst mit den Herausforderungen«. Für den Fall eines Falles bin ich aber während der ganzen Zeit dezent im Hintergrund anwesend. Dieser Fall kommt aber so gut wie nie vor. Unsere Azubis wollen schließlich zeigen, dass sie es drauf haben. Und das haben sie.
Was war für Dich der beeindruckendste Event, an dem Du im Schlachthof beteiligt warst ? Und was war so besonders daran ?
Besonders beeindruckend war das Jubiläumskonzert der Toten Hosen am 10. April 2012 in der Kesselhalle. Ein Riesending ! Man muss wissen: 30 Jahre zuvor, am 10. April 1982 haben die im Magazinkeller ihr erstes Konzert gespielt. 25 Gäste. Der Eintritt betrug damals 5,00 Mark. Besonders schwierig an dem Jubiläumskonzert war, die Sache ein Jahr lang geheim zu halten. Die ganze Organisation musste »undercover« laufen. Mit dem damaligen Aufwand, der riesig war, haben wir wirklich den Rahmen aller sonstigen Konzerte weit überschritten. Das gesamte Gelände wurde umzäunt. 28 Security-Kräfte waren im Einsatz. Es gab das volle Medienprogramm mit ARD, ZDF, RTL, SAT1 ... . Zum Glück hat aber alles gut geklappt.
Und welcher Event war Dein größter Flop – und warum ?
Oh, Mann. Also gut. Ich hatte einmal eine Booking-Anfrage für eine spanische Band, die wir schon zweimal im Schlachthof hatten. Einziger möglicher Termin war in dem Jahr der 9. Juli. Ich habe zugesagt, ohne den Termin zu checken. Anfängerfehler ! Ich hatte nicht auf dem Schirm, dass an dem Tag das Finale der UEFA Champions League angesetzt war. Und wer hatte sich ausgerechnet qualifiziert ? Barcelona und Madrid. Super. Na ja, Hauptsache Italien. Bei den früheren beiden Konzerten hatten wir 750 Gäste, an diesem Abend waren es 250. Finanziell war das Konzert natürlich ein Eigentor. Die Band und alle anderen Beteiligten haben es zum Glück mit Humor genommen. Direkt nach dem Konzert haben wir zur 2. Halbzeit die Leinwand runtergelassen und alle zusammen geguckt und gefeiert. Es wurde dann doch noch ein ziemlich geiler Abend, aber eben völlig anders als geplant.
Wie hat sich aus Deiner Perspektive die Musik- und Kulturszene in den vergangenen 30 Jahren verändert ?
Ich kann aus meiner Erfahrung sicherlich sagen, dass alles schnelllebiger und hektischer geworden ist. Stars wachsen zwar schnell, fallen aber auch schnell wieder ab. Was ich besonders schade finde ist, dass in der Ska- und Rockabilly-Szene keine Bands »nachwachsen«.
Hast Du Pläne für die Rente ? Gibt es die für Dich überhaupt ?
Ein Bekannter von mir ist Therapeut. Ich hab ihm schon vor längerer Zeit gesagt: »Ein Jahr vorher nehme ich zur mentalen Vorbereitung auf diesen Lebensabschnitt ein paar Stunden bei Dir«. Was ich genau machen werde, weiß ich aber wirklich noch nicht. Darüber mache ich mir jetzt auch noch keinen Kopf. Ein paar Jährchen sind es ja auch noch. Dann steht übrigens im Verein ein richtiger Generationswechsel an, denn die meisten bei uns sind so Ende 50, Anfang 60. Das planen wir aber zusammen und in Ruhe. Es soll ein geordneter Rückzug werden.
Die Schlachthofkneipe hat Du bereits erwähnt. Die war Dein persönlicher »Türöffner« in den Schlachthof. Aber die Kneipe ist streng genommen kein Teil des Kulturzentrums. Wie läuft die zur Zeit und wie lief die in der Vergangenheit ?
Der Verein verpachtet die Kneipe zunächst befristet für fünf Jahre. Man bewirbt sich mit einem Konzept. Das betrifft zum Beispiel die Gestaltung des Raumes, also den Stil des Interieurs. Die Inneneinrichtung ist wichtig, denn daraus entsteht eine bestimmte Atmosphäre als »Kneipen-Kultur«, die bestimmte Menschen anzieht. Oder eben auch nicht. Wenn es gut läuft, kann der Vertrag verlängert werden. Seit Frühjahr 2021 hat der Verein an die Mannschaft vom »Lugger« verpachtet. Trotz sehr viel Stress durch Corona läuft es für uns mit den neuen Pächtern mittlerweile richtig gut. Gastronom Kimbo und seine Truppe haben »richtig was gerissen«: allein die gut durchdachte und stilechte Inneneinrichtung ! Und erst das fantastische Essen ! Das ist kein gewöhnliches Kneipen-Food, sondern richtig top. Man merkt den Jungs an, dass sie alle aus Leidenschaft in der Gastronomie arbeiten – und nicht nur für möglichst viel Geld.
Seit einigen Jahren ist mein vierzehnjähriger Sohn gefühlt 24/7 auf der Skaterbahn am »Schlof«, wie der Schlachthof bei den Kids heißt. Du hast ja immer ein bisschen ein Auge auf die jungen Leute, die dort fahren und chillen. Wie geht es dort zu ? Was kannst Du uns aus Deiner Erfahrung erzählen ?
Nicht nur für Findorffer Jugendliche ist die Skaterbahn ein extrem wichtiger sozialer Ort. Mittlerweile gibt es unter denen eine gewachsene Community. Entweder sie fahren, quatschen, chillen – und manchmal wird gefeiert. Das gehört alles dazu. Ich beobachte, dass Scooter, Biker und Skater dort in »freundschaftlicher Konkurrenz« fahren. Wenn es Stress gibt, regeln die verschiedenen Gruppen es kollegial unter sich. Ab und zu wird der Ton aber auch etwas rauer. Das bleibt halt nicht aus.
Vereinzelt hängen aber auch Kids am Pool rum, die schlechte Stimmung verbreiten. Denen muss man manchmal Bescheid geben, dass gewisse Sachen hier nicht laufen. Offiziell gehört der Platz zur »Messe Bremen«. Deswegen müssen die Rampen und Hindernisse zum Freimarkt und bei großen Konzerten abgebaut werden, um den Fluchtweg zu garantieren. Beeindruckend finde ich, dass die meisten Dinge unter den Jugendlichen größtenteils selbstorganisiert laufen. Ältere übernehmen die Verantwortung und sorgen dafür, dass alles klappt. Durch ihr Vorbild ziehen die Älteren die Jüngeren mit. Mit öffentlichen Geldern konnte übrigens 1989 der »Pool«, 1991 die »Snake Run« und Ende der Neunziger die Mini-Rampe gebaut werden.
Ich nehme Dich als wichtige Figur für die Kids wahr. Du bist präsent, gehst in den Kontakt und wirst respektiert. Dein Wort hat Gewicht. Was würdest Du den jungen Menschen raten ?
Auf jeden Fall sollte man sich Zeit lassen, um herauszufinden, was man im Leben machen will – und man sollte sich nicht im erstbesten Job festlegen lassen. Wie gesagt: Ich war Mitte 30, als ich gemerkt habe, dass ich im Kulturzentrum Schlachthof richtig gelandet bin. Ich bin froh, dass ich bei Kellogg‘s gekündigt habe, obwohl ich dort fast doppelt soviel verdient hätte.
Ein Detail beschäftigt mich schon länger: Dein Name. Ich habe spaßeshalber einmal »Lochmon« gegoogelt. Ergebnis: In Pennsylvania gibt es eine Kneipe namens »LochMon Tavern«. Aber für eine Erklärung des Nachnamens »Lochmon« gab es keine Treffer. Weißt Du, woher Dein Nachname kommt ?
Mein Familienname ist in der Tat in Deutschland völlig ungewöhnlich. Ich habe aber nie groß recherchiert. Irgendwer aus meiner Familie hat, wenn ich mich richtig erinnere, einmal erzählt, meine Familie sei irgendwann aus dem slawischen Raum nach Norddeutschland umgesiedelt. Ende des 18. Jahrhundert habe es die Möglichkeit gegeben, Namen »einzudeutschen«. Da sei aus »Lockwotzki« wohl »Lochmon« geworden. Aber, wie gesagt, ob es so stimmt ? Das ist vermutlich eher Hörensagen.
Interview: Dr.Peter Holz, Foto: Karim Sander, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 23, 2022