SABINA SCHOEFER ÜBER DIE BREMER VOLKSHOCHSCHULE IN FINDORFF


Die Plantage 13 ist für uns ein kreativer Freiraum.

Dr. Sabina Schoefer studierte Soziologie, Ost- und Westslawistik und promovierte über das Thema »Organisationsentwicklung«. Sie ist in der Erwachsenenbildung sehr bewandert und ausgebildete systemische Beraterin, Trainerin und Coach. Während ihrer Jahre in den USA hat sie diverse didaktische Modelle der demokratischen Beteiligung gelernt. Von 1997 bis 2005 arbeitete Sabina Schoefer selbstständig als Unternehmensberaterin in Bremen. 2006 wechselte sie als Senior Consultant und Director Research zu einem international aufgestellten Unternehmen nach Hamburg. Seit 2011 ist Schoefer Direktorin der Volkshochschule Bremen und seit 2014 Vorsitzende des Vorstands der Bürgerstiftung Bremen. Zudem ist sie Autorin und Herausgeberin. Sabina Schoefer wohnt sehr gern, ungezwungen und unauffällig in der Bremer Neustadt. Mehr Infos unter www.vhs-bremen.de

 


Sabina Schoefer, Sie sind Direktorin der Bremer Volkshochschule, die seit einigen Monaten auch im Stadtteil Findorff präsent ist. Wie bewerten Sie im Rückblick das erste Jahr am neuen Standort in der Plantage 13 ?

 

Wir sind 2017 mit mehreren Projekten gestartet. Das erste Projekt war »Einfache Sprache«. Ziel ist es, eine bürgernahe Sprache beispielsweise im öffentlichen Dienst zu vermitteln, um die Kommunikation mit den KundInnen zu erleichtern. Das zweite Projekt nennt sich »Sprachcoaching«. Hier geht es darum, Menschen globaler Herkunft direkt an ihrem Arbeitsplatz bei der deutschen Sprache zu unterstützen. Als ständiges Angebot bieten wir in der Plantage 13 »Deutsch für den Beruf« an. Dieser Kurs richtet sich an Menschen, die einen Integrationskurs abgeschlossen haben und sich beruflich orientieren wollen. Ein echtes »Schatzkästchen« ist der »Kameraclub«, für den viele FotografInnen von weit herkommen. Alle Projekte und Kurse an dem kulturaffinen Standort »Plantage 13 « bieten großen Freiraum für kulturelle Möglichkeiten und soziale Kontakte – über das eigentliche Angebot hinaus. Insofern war 2017 für uns sehr aufregend. Ich bin froh, dass wir die erste Wegstrecke geschafft haben.

 

Welche Gründe gab es, sich für die Plantage zu entscheiden ?

 

Die Idee nach Findorff zu gehen, kam durch einen Kontakt zu Katrin Rabus. Katrin Rabus ist ja seit jeher in der Bremer Kulturszene eine feste Größe. Wir waren gemeinsam in Kontakt mit der »Freien Kunstschule« und wollten die Einrichtung in ihrem Erhalt durch das Kooperationsprojekt »HAND_WERK« unterstützen, das heißt Kurse zusammen anbieten und entwickeln. Als sie mir dann die Räume in der Plantage 13 erstmals gezeigt hat, dachte ich: Das ist ein Ort wie die Bremer Volkshochschule ihn braucht, ein kreativer Freiraum – ein Raum zum Denken und Machen. Die flexiblen Räumlichkeiten sollen ein Stück »unfertig« bleiben, damit immer wieder Neues entsteht. 

 

Sie sagen, das Regionale und Greifbare gewinnt im digitalen Zeitalter verstärkt an Bedeutung. Warum ist das so ? 

 

Ich glaube, die Menschen haben nicht nur Lust, auf ihr Smartphone zu gucken oder sich von digitalen Assistenten alles erzählen zu lassen. Das digitale Zeitalter ist für viele auch eine Überforderung. Wir haben heute in einer bisher nie dagewesenen Geschwindigkeit pro Jahr einen Zuwachs an Informationen von 30 Prozent zu bewältigen. Die wichtigste Rolle spielt dabei die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen über Internet und elektronische Medien. Diese Explosion an Informationen übt auf viele Menschen einen starken Druck aus. Ein großer Teil fühlt sich abgehängt und denkt: »Ich weiß ja gar nicht mehr Bescheid.«. Deshalb braucht es Orte, an denen sich Menschen untereinander unmittelbar austauschen. Die Volkshochschulen spüren solche Bedürfnisse auf, sie sind wie ein »Fischernetz« für gesellschaftliche Entwicklungen und Trends. Ein Beispiel: »Do-it-yourself« war in den Achtzigerjahren völlig verpönt, heute aber erlebt es ein Comeback als »Do-it-together« und ist sehr angesagt. Menschen möchten nachhaltig agieren und mit den eigenen Händen beispielsweise etwas Handwerkliches oder Künstlerisches machen. Auch dafür sind unsere Räume in der Plantage 13 sehr gut geeignet.

 

Wie kann man Weiterbildung für »quartiersbezogene Lernorte« auf einen heterogenen Stadtteil wie Findorff abstimmen ? 

 

Für diese Aufgabe ist die Bremer Volkshochschule bestens aufgestellt, weil wir in allen Stadtteilen vertreten sind – mit den vier VHS-Regionalstellen in Walle, Gröpelingen, Vegesack, der Vahr und Kattenturm. Darüber hinaus ist die Bremer Volkshochschule an 177 »Lernorten« in ganz Bremen präsent. Wir wissen aus langjähriger Erfahrung um die Verschiedenheit der Stadtteile und haben das Know-how, wie man aus den Stadtteilen heraus Angebote spezifisch und abgestimmt entwickelt.

 

Wie entwickelt man stadtteilspezifische Bildungsangebote ?

 

Die VHS-Regionalstellen ermöglichen Weiterbildung direkt vor Ort, auch um gemeinsam den Stadtteil weiterzuentwickeln. Die Volkshochschule kümmert sich mit den zahlreichen Initiativen sozusagen um die »mentale Stadtentwicklung« einer Großstadt. Ein gutes Beispiel ist das Erzählfestival »Die Feuerspuren« in Gröpelingen, hinter dem maßgeblich die Initiativen vor Ort und auch die Bremer Volkshochschule stehen. Die KollegInnen sind nicht nur dort, sondern mit ganzem Herzen dabei. Das spüren die Menschen und darüber bin ich glücklich.

 

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsunternehmens »Ipsos« zum Image der Volkshochschulen in Deutschland sind diese hervorragend aufgestellt: Die meisten Befragten finden den größten Weiterbildungsanbieter sympathisch, nutzen ein vielseitiges Angebot und wollen wiederkommen. Also alles gut  ?

 

Über die Ergebnisse der »Ipsos«-Umfrage haben wir uns sehr gefreut. Die »Marke« Volkshochschule ist unglaublich bekannt. Die hervorragenden Ergebnisse haben die rund 900 Volkshochschulen sogar ein bisschen umgehauen. Trotzdem: Darauf wollen und werden wir uns keineswegs ausruhen.

 

Welche weiteren Ideen haben Sie, wie man die Volkshochschule noch besser machen könnte  ?

 

Ich finde es wichtig, das wir uns weiter professionalisieren – und ein Schritt dahin war auch diese Umfrage. Entscheidend für uns ist die Frage: Bleiben wir jetzt da stehen oder wollen wir noch besser werden  ? Ich vertrete bundesweit für die Volkshochschulen unser Land Bremen. Professionalität ist für mich ein zentraler Kernpunkt der Arbeitsthemen, die wir in den nächsten zwei Jahren bearbeiten werden. Ein Schwerpunkt werden die »Erweiterten Lernwelten« sein, weil sich Lernen durch Digitalisierung weiterhin stark verändern wird. Ich bin überzeugt, dass die Volkshochschulen dabei eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig gestalten Volkshochschulen Möglichkeiten, genau das zu lernen, was man braucht, um auf der Höhe der Zeit zu sein. Wir machen uns sehr viele Gedanken: Wie schaffen wir es, das unsere Angebote bei den Menschen noch besser ankommen   ? Wie erreichen wir die jüngeren Generationen  ? Welche Angebote sind wirklich wichtig ? Wird es in der nahen Zukunft so sein, das jemand sagt: »Alexa, bring mir einen VHS-Kurs nach Hause !« ? Wenn wir keine kritische Auseinandersetzung mehr über den richtigen Weg führen, dann bleiben wir stehen. Diese vielfältigen Herausforderungen beschäftigen mich sehr.

 


Menschen brauchen heute wieder ein Stück Heimat.

 

Auch die Fähigkeit der Volkshochschulen zu Innovationen wurde von den Befragten gelobt ...

 

Dazu möchte ich Ihnen eine Anekdote erzählen: Ich durfte auf einer Veranstaltung einen Preis vergeben und eine Laudatio halten. Der Moderator kündigte mich mit den Worten an: »Jetzt kommt eine Frau, die alles weiß – und wenn Sie etwas nicht weiß, dann weiß sie, wen man fragen kann.« Das fand ich treffend. Denn in den bundesweiten Fachkreisen der Volkshochschulen, im Austausch mit Kollegen aus Österreich und der Schweiz, sowie darüber hinaus mit 32 Ländern der Welt, sind alle VHS-KollegInnen auf ihren Gebieten echte ExpertInnen. Volkshochschulen sind immer in Bewegung, ausgezeichnet vernetzt und tauschen sich fachlich kontinuierlich aus. Dieser Pool ist ein unschätzbares Pfund – und verursacht Innovation und hohe Innovationsgeschwindigkeit. Unabhängig davon sind wir stark, weil alle sozusagen als »ÜberzeugungstäterInnen« arbeiten. Ob als VHS-DozentIn, als Hausdienst oder Fachkraft: Es arbeitet bei uns niemand, der oder die nicht davon überzeugt ist, dass das, was wir tun, wichtig für die Gesellschaft ist. Wenn man diese Haltung hat, kann man gar nicht anders, als abseits der geraden Wege nach rechts und links zu schauen und dort hinzusehen, wo andere nicht hinsehen wollen. Beispielsweise in einem Kurs, wo ein Ukrainer neben einer Perserin sitzt, da gibt es mehr zu lernen und zu vermitteln als nur den gemeinsamen Nenner des Lerngegenstands. Im Gegenteil: Wir machen Reibungsflächen »besprechbar« und vermitteln soziales Miteinander – ohne die Reibungsflächen außen vor zu lassen.

 

Welche Themenbereiche sind Ihre Dachthemen ?

 

Es haben sich für die Bremer Volkshochschule sechs Sparten herausgebildet, die als Themen der Gesellschaft die Zukunft bestimmen werden: Das sind die Bereiche »Gesellschaft«, »Grundbildung + Alphabetisierung«, »Fremdsprachen + Deutsch als Fremdsprache«, »Beruf + IT«, »Kultur«, und »Gesundheit«, die unser Angebot strukturieren.

 

Sie sagten im Vorgespräch, die Volkshochschule müsse heute wieder politischer werden. Was meinen Sie damit  ?

 

Es gibt einfach bestimmte Themen, die werden nirgendwo in der Tiefe bearbeitet. Wir sagen: Auch diese Themen müssen wir bearbeiten. Ich glaube, dass Menschen heute wieder ein Stück Heimat und lokale Orte brauchen, an denen sie sich Themen »vorknöpfen« und diskutieren können. Im digitalen Medienzeitalter stellt sich beispielsweise die Frage: Sind News noch echte News, weil im Prinzip nahezu alle Meldungen digital von zentralen Nachrichtenagenturen kommen. Ich stelle mir die Frage: Wie partizipieren wir eigentlich Informationen ? Stichwort »Fake News«: Stimmt alles, was ich so höre ? Sich als Volkshochschule an dieser Stelle einzumischen und Menschen Kompetenzen zur medialen Auseinandersetzung zu vermitteln, damit man nicht alles glaubt, sondern lernt kritisch zu bewerten und zu reflektieren was uns über die vielen medialen Kanäle täglich angeboten wird – dieser Ansatz ist sehr politisch.

 

Welche Angebote bieten Sie  in Findorff an und wo kann man sich darüber informieren ?

 

Wir bringen zweimal jährlich unser Halbjahresprogramm heraus. Man bekommt es in der Plantage 13, in unserer Zentrale im »Bamberger Haus« in der Faulenstraße 69, aber auch im Stadtteil an Verteilstellen wie dem Findorffer Bücherfenster. Man kann es zudem online herunterladen. In der Plantage 13 werden viele Kurse zur professionellen Fotografie angeboten; Sie können beispielsweise Basiswissen der Fotografie erlernen oder Fotoreportagen machen. Weiterhin gibt es Kurse zu berufsbezogenem Deutsch und Weiterbildungen. Wenn Sie schnell sind, können Sie diesmal aber auch das Ukulelespiel und singen lernen. Ausführliche Informationen gibt es unter »Standorte« auf www.vhs-bremen.de

 

Interview: Mathias Rätsch, Foto: Kerstin Rolfes, Interview erschienen in Ausgabe Nr. 5, 2018

 

© Kerstin Rolfes
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